Verborgene Muster
sehr
für seinen Job brauchte, sondern um seine persönliche Neugier zu befriedigen. Rebus faszinierte
ihn irgendwie. Und Gill Templer interessierte ihn sowieso.
Und Michael Rebus...
Michael Rebus war offenbar noch in der Wohnung. Die Karawane setzte sich jetzt in Bewegung. Der
Rover bog aus der stillen Marchmont Street nach rechts ab, doch die Gorillas blieben da. Neue
Gorillas. Stevens zündete sich eine Zigarette an. Es konnte einen Versuch wert sein. Er ging zu
seinem Auto zurück und schloss es ab. Dann machte er einen Spaziergang um den Block und legte
sich einen neuen Plan zurecht.
»Entschuldigen Sie, Sir. Wohnen Sie hier?«
»Natürlich wohne ich hier! Was soll denn das? Ich muss ins Bett.«
»Harte Nacht gehabt, Sir?«
Der Mann mit den verschlafenen Augen hielt dem Polizisten drei braune Papiertüten unter die Nase.
In jeder waren sechs Brötchen.
»Ich bin Bäcker. Schichtarbeit. Wenn Sie mich jetzt bitte...«
»Und Ihr Name, Sir?«
Als Stevens sich an dem Mann vorbeizuschieben versuchte, hatte er gerade so viel Zeit gehabt, um
ein paar von den Namen auf den Klingelschildern zu entziffern.
»Laidlaw«, sagte er. »Jim Laidlaw.«
Der Polizist überprüfte das auf seiner Namensliste.
»In Ordnung, Sir. Tut mir leid, dass wir Sie belästigt haben.«
»Was soll das alles?«
»Das werden Sie noch früh genug erfahren, Sir. Erst mal gute Nacht.«
Es gab noch ein weiteres Hindernis, und Stevens wusste, wenn die Tür abgeschlossen war, dann war
sie abgeschlossen, und er war trotz all seiner Gerissenheit geliefert. Er stieß ganz
selbstverständlich gegen die schwere Tür und spürte, wie sie nachgab. Sie hatten sie nicht
abgeschlossen. Sein Schutzpatron war ihm offenbar heute wohlgesinnt.
Im Treppenhaus stellte er die Brötchentüten auf den Boden und dachte sich eine neue Strategie
aus. Er stieg die beiden Treppen bis zu Rebus' Wohnung hinauf. Im ganzen Haus schien es nach
Katzenpisse zu stinken. An Rebus' Tür musste er erst einmal Luft holen, teils weil er keine
Kondition hatte, teils aber auch, weil er aufgeregt war. Er hatte schon seit Jahren kein so gutes
Gefühl mehr bei einer Geschichte gehabt. Er beschloss, an einem Tag wie diesem könne er sich
alles erlauben, und drückte erbarmungslos auf die Klingel.
Nach einiger Zeit wurde die Tür von einem gähnenden und verquollen aussehenden Michael Rebus
geöffnet. Endlich standen sie sich also von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Stevens fuchtelte
vor Michaels Gesicht mit einer Karte herum. Diese wies James Stevens als Mitglied des Edinburgher
Snooker-Clubs aus.
»Detective Inspector Stevens, Sir. Tut mir Leid, dass ich Sie aus dem Bett geholt habe.« Er
steckte die Karte wieder ein. »Ihr Bruder hatte uns gesagt, dass Sie vermutlich noch schlafen
würden, aber ich dachte, ich versuch 's trotzdem mal. Darf ich reinkommen? Nur ein paar Fragen,
Sir. Ich werd Sie nicht lange aufhalten.«
Die beiden Polizisten, deren Füße trotz Thermostrümpfen und der Tatsache, dass Sommeranfang war,
ganz taub waren, traten von einem Fuß auf den anderen und hofften auf Ablösung. Sie redeten
ausschließlich über die Entführung und darüber, dass der Sohn des Chief Inspectors ermordet
worden war. Hinter ihnen ging die Haustür auf.
»Immer noch da? Meine Frau hat mir gesagt, vor der Tür waren Bobbys, aber ich hab's nicht
geglaubt. Wart wohl die ganze Nacht hier. Was ist los?«
Es war ein alter Mann, immer noch in Hausschuhen, aber in einem dicken Wintermantel. Er war nur
zur Hälfte rasiert, und den unteren Teil seines Gebisses hatte er entweder verloren oder
vergessen in den Mund zu schieben. Während er langsam durch die Tür ging, setzte er eine Kappe
auf seinen kahlen Schädel.
»Nichts, worüber Sie sich beunruhigen mussten, Sir. Man wird es Ihnen sicher bald
erklären.«
»Na schon. Ich geh nur schnell die Zeitung und die Milch holen. Normalerweise gibt's bei uns
Toast zum Frühstück, aber irgendein Idiot hat zwei Dutzend frische Brötchen im Hausflur liegen
lassen. Wenn sie keiner will, ich nehm' sie gern.«
Er kicherte, und man konnte sehen, dass sein Zahnfleisch unten ganz rot und wund war.
»Kann ich euch beiden was aus dem Laden mitbringen?«
Die beiden Polizisten starrten sich sprachlos und entsetzt an.
»Du gehst rauf«, sagte der eine schließlich zum anderen. Dann: »Und Ihr Name, Sir?«
Der alte Mann nahm Haltung an, ein alter Soldat.
»Jack Laidlaw«, sagte er, »zu Ihren Diensten.«
Stevens trank dankbar den schwarzen
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