Verborgene Sehnsucht
nächsten. Dort haben wir die besten Chancen.« Mit einem Knurren verstärkte er den Griff und zog MacCord aus dem Wasser.
»Fenster?« ,fragte Venom, der über ihnen kreiste.
»Nicht gesichert«, antwortete Rikar. Als er auf den Landungssteg sprang, sah er, wie der Horizont langsam heller wurde. Er packte den Cop an den Füßen und half Bastian, ihn erst auf den Pier, dann an Land zu bringen. Je schneller Venom sie packen konnte, desto besser. In zehn – fünfzehn – Minuten würde die Sonne aufgehen. Höchste Zeit, sich aus dem Krisengebiet zu entfernen. »Wir legen einen Zauber aufs Glas, um die UV-Strahlung zu blockieren, wenn wir da sind.«
» Verstanden.« Mit weit ausgebreiteten Flügeln setzte Venom zum Sinkflug an, kam schnell näher und …
Bastian und er stellten sich breitbeinig auf, fanden festen Halt und hoben den Cop Richtung Himmel. MacCord stöhnte auf und schlug um sich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Und, wer hätte das gedacht, Venom behandelte ihn auch so. Mit ausgestreckten Klauen pflückte er den Polizisten aus der Luft, wie ein Adler einen Lachs aus dem Wasser zog.
Ohne eine Sekunde zu verlieren, verwandelte sich Rikar und hob ab. Mitternachtsblaue Schuppen blitzten auf, als Bastian es ihm gleichtat und sich hinter ihm in die Luft erhob. Während des schnellen Flugs über die Wolkenkratzer und Hausdächer hielt Rikar ein Auge auf den Cop, das andere auf den Horizont gerichtet. Ein rosa-orangefarbenes Glühen überzog die Skyline und kündigte die aufgehende Sonne an. Nicht, dass MacCord sich darum gekümmert hätte. Oh, nein. Der Kerl war viel zu sehr damit beschäftigt, Flüche auszustoßen und … alles klar. Jetzt bearbeitete er Venoms Klauen mit den Fäusten.
Nicht die schlaueste aller Ideen. Jedenfalls in Anbetracht von Venoms Temperament.
» Hey, Ven. « Rikar schlug noch schneller mit den Flügeln und flog neben seinen Kameraden. » Lust auf ’ne Runde Ballspielen? «
» Keine Zeit … wir sind gleich da «, knurrte Venom und schüttelte die Klauen und MacCord ordentlich durch. » Sonst würde ich dir den Hohlkopf rüberwerfen.«
Rikar schwenkte nach rechts und folgte seinem Kumpel durch Wolkenfetzen und kalte Luft nach unten. Mysts Wohnhaus lag direkt vor ihnen. Ein fünfstöckiger Altbau ohne Aufzug, die Klinkersteine glühten rötlich in der aufziehenden Morgendämmerung, während die hohen Bogenfenster wie schwarze Löcher in der Fassade gähnten.
» Hintenrum «, sagte Bastian, der als Letzter flog. » Der Balkon im fünften Stock. «
Rikar breitete die Schwingen zu voller Spannweite aus, um seinen Flug zu verlangsamen. Als er um die Hausecke bog, wandte er sich in Gedanken an Bastian: » Hat Sloan dafür gesorgt, dass uns jemand erwartet ?«
» Er hat einen Escortservice angerufen. «
Venom schnaubte. » Er hat eine Hure bestellt ?«
» MacCord braucht eine Frau. « Rikar wartete, bis Venom Platz machte und flog nach links in eine Warteschleife. » Eine, die professionell damit umgeht … die wir bezahlen können, damit sie ihm zu Diensten ist und deren Erinnerung wir hinterher löschen können. «
Venom nahm mitten in der Luft Menschengestalt an und ließ sich auf den Balkon unter ihm fallen. Als seine Militärstiefel den Beton berührten, ignorierte er das Fluchen des Polizisten, warf ihn sich über die Schulter und ging auf die Balkontür zu. » Guter Plan. «
» Das will ich hoffen «, knurrte Bas. Selbst durch die Gedankenübertragung klang das Knurren in seiner Stimme laut und deutlich. » Es wird Myst nicht besonders freuen, wenn sie herausfindet, dass ich MacCord ihr Bett überlassen habe. «
Rikars Schnauben verwandelte sich in Gelächter – die Vorstellung, dass Bas sich vor einer Frau fürchtete, amüsierte ihn –, während auch er sich verwandelte und auf dem Balkon aufsetzte.
Bastian landete neben ihm und warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. »Warte nur, bis du selbst eine Gefährtin hast, die du bei Laune halten musst. Dann lachst du nicht mehr.«
Der Gedanke ernüchterte Rikar schnell wieder. Trotz der Neckerei respektierte er Bastian außerordentlich dafür, dass er alles auf eine Karte setzte: Myst ohne Zurückhaltung liebte, genug Mut hatte, darauf zu vertrauen, dass er ihr Leben retten konnte, wenn sie seinen Sohn zur Welt brachte. Bis vor Kurzem hatte keiner von ihnen das für möglich gehalten.
Alle Frauen starben, wenn sie Drachenkrieger gebaren. Ohne Ausnahme.
Das dachten sie jedenfalls, bevor sie mehr über die
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