Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
nicht? Eine dreckige Hure, die ihren Körper an den Meistbietenden verkaufte!“
„Hör auf damit! Sie ist meine Großmutter. Sie braucht mich. Ich werde sie nicht im Stich lassen, wie du es getan hast!“
„Du machst es dir leicht!“ schrie Hope. „Du wirfst mir vor, meine Mutter unfair abgeurteilt zu haben, aber dasselbe machst du mit mir. Du lässt mich bereitwillig im Stich. Du hast keine Ahnung, was ich durchgemacht habe.“
„Wie könnte ich. Alles, was ich von dir weiß, sind Lügen.“ Sie wandte sich ab und ging zum Rand der Veranda, sichtlich um Fassung bemüht. „All die Jahre hast du mich angelogen“, fuhr sie bewegt fort. „Du hast uns alle angelogen. Santos hat dich heute angerufen und dir gesagt, dass deine Mutter im Sterben liegt. Ihr einziger Wunsch war es, dich zu sehen. Trotzdem konntest du nicht verzeihen. Du hast ihr das Geschenk eines letzten Besuches verweigert.“
Glory wischte sich die Tränen von den Wangen und sprach weiter: „Ich weiß nicht, wer du bist. Du bist eine Fremde für mich. Wenn ich daran denke, wie oft du mir von deinem Vater, meinem angeblichen Großvater, erzählt hast, wird mir schlecht. Er existierte gar nicht. Du kanntest deinen Vater nicht. Du warst das Kind eines Freiers. Santos hat es mir erzählt. Alle Pierron-Frauen waren das, außer mir.“
Hope wurde übel. Durch reine Willenskraft verhinderte sie, dass sie sich übergab. „Richtig, alle außer dir. Das ist mein Verdienst, weil ich mich nicht zu ihnen in die Gosse ziehen ließ!“ Sie warf stolz den Kopf in den Nacken. „Dank mir bist du eine St. Germaine. Der Pierron-Teil in dir ist getilgt. Er ist getilgt!“
„Natürlich nicht! Du kannst nicht etwas auslöschen, indem du behauptest, es sei getilgt. Außerdem will ich diesen Teil gar nicht auslöschen. Die Vergangenheit der Pierrons ist auch meine Vergangenheit, ob dir das gefällt oder nicht.“
„Du musst dich davon lösen, du musst! Ich habe es auch getan!“ Hope packte ihre Tochter schmerzhaft am Arm.
„Nein!“ Glory riss sich los und wich angewidert zurück. „Das werde ich nicht tun. Ich halte es für falsch.“
Das Böse wird mir meine Tochter nicht stehlen. Sein Instrument, dieser widerwärtige Santos, wird mir Glory nicht nehmen. Er hat es einmal versucht, und ich habe ihn besiegt. Es wird mir wieder gelingen, gleichgültig, was ich dafür tun muss.
„Du kannst dir nicht vorstellen, was ich durchgemacht habe“, jammerte Hope leise und ließ die Hände sinken. Tränen standen ihr in den Augen. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie es war, in diesem … diesem Haus aufzuwachsen. Du glaubst nicht, was ich hören und sehen, welchen Lebensstil ich zwangsweise erdulden musste. Ich lebte mit Huren, Glory, mit Prostituierten.“
„Ich weiß das, Mutter. Aber …“
„Du weißt gar nichts. Von allen Menschen außerhalb des Hauses wurde ich verspottet und verachtet. Nicht weil ich etwas Schlimmes getan hatte, sondern wegen der Umgebung, in die ich hineingeboren worden war.“ Bei dieser Erinnerung rannen Hope Tränen über die Wangen. „Ich hatte keine Freunde. In der Schule, in der Kirche, auf dem Spielplatz, im Schulbus, überall war ich allein. Ich wurde nie zu einer Geburtstagsparty oder in ein anderes Haus eingeladen. Die Mädchen verspotteten mich, und die Jungs jagten mich, und wenn sie mich fingen, hielten sie mich fest, und ich musste mich begrapschen und … küssen lassen. Weil ich das Kind meiner Mutter war.“
Hope senkte den Kopf. Die Erinnerungen setzten ihr zu. „Nachts konnte ich nicht schlafen wegen der Geräusche der Männer und der Huren. Ich hörte das Keuchen und Stöhnen … tierisch … wie menschliche Tiere ohne Seele.“
Glory legte entsetzt eine Hand an den Mund.
„Verstehst du, warum ich weggelaufen bin und nie zurückwollte? Wenn ich geblieben wäre, Glory, wäre ich gestorben. Meine Seele wäre abgestorben.“
Glory hatte Mühe zu sprechen. „Aber deine Mutter … sie hat dich geliebt. Sie hat versucht, dich zu schützen, und dich weggeschickt.“
„Ja, sie hat mich geliebt.“ Hope legte die Hände vors Gesicht, als Hass in ihr aufwallte, den sie zu unterdrücken versuchte. „Und ich habe sie geliebt. Aber ich konnte sie nicht von meinem Leben oder meiner schrecklichen Verzweiflung trennen. Ich wollte nur entkommen und neu beginnen.“ Sie sah ihre Tochter, um Verständnis bittend, an. „Und als ich die Chance zur Flucht bekam, nutzte ich sie.“ Sie holte tief und zittrig Atem. „Bitte,
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