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Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte

Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte

Titel: Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erica Spindler
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war ihr wie ein Zuhause vorgekommen, viel mehr als das Haus, in dem sie tatsächlich aufgewachsen war. Warum? Was bedeutete es, wenn sie sich dort so wohl fühlte?
    Santos kam ins Zimmer. Sie wusste, dass er es war, obwohl sie mit dem Rücken zu ihm saß und er nichts sagte. Sie spürte seine Anwesenheit fast körperlich. So war es immer gewesen. Ein angenehmer Schauer durchrann sie, ungewollt, aber unaufhaltsam. Santos’ Wirkung auf sie hatte sich in über zehn Jahren, seit sie ein Liebespaar geworden waren, nicht geändert.
    Sie blickte ihn über die Schulter an, doch Santos hatte nur Augen für Lily. Sie las Trauer in seinem Gesicht, Liebe und auch Angst. Er hatte bereits eine Mutter verloren, jetzt war er kurz davor, auch die Ersatzmutter zu verlieren. Lily hatte sich seine Liebe erworben, das sagte viel über sie aus. Sie musste eine gute, eine besondere Frau sein, ungeachtet ihrer Vergangenheit. Sie hatte die Liebe eines Jungen errungen, der durch viele menschliche Enttäuschungen hart und zynisch geworden war. Sie hatte sein Leben verändert, indem sie ihn liebte und an ihn glaubte.
    Glory hatte Mitgefühl mit Santos, drehte sich jedoch zu Lily um, damit er es nicht merkte. Er würde ihr Mitgefühl nicht wollen, da er ihr nicht zutraute, menschlicher Regungen fähig zu sein. Er hielt sie für das Ebenbild ihrer Mutter.
    Sie schluckte trocken. Wie hatte Hope nur diese herzzerreißenden Briefe lesen und dann ohne Antwort zurückschicken können?
    Sie dachte an den Vorfall vor ihrem achten Geburtstag, an das verzerrte Gesicht ihrer Mutter, an das schmerzende Reiben der Nagelbürste und an die Worte: Ich werde dich reinigen. Wenn nötig, werde ich dir das Fleisch von den Knochen schrubben. Du wirst rein sein, Tochter.
    Glory erkannte plötzlich schaudernd den Grund für die Überreaktion ihrer Mutter auf den Vorfall in der Bibliothek. Ebenso für ihr ständiges Zitieren der Bibel, für ihre Ermahnungen zu gutem Benehmen und ihren besessenen Kampf gegen die Sünden des Fleisches.
    „Es ist kaum zu glauben, dass sie Mutter und Tochter sind“, bemerkte Santos plötzlich leise und stellte sich neben Glory ans Bett. „Sie haben nichts gemeinsam, das versichere ich dir.“
    Sie ahnte, was er meinte. Offenkundig liebte er Lily rückhaltlos. „Was hat der Arzt gesagt?“
    „Nicht viel. Während meiner Abwesenheit ist nichts geschehen. Sie ruht und ist stabilisiert. Sie kann jeden Moment erwachen.“
    „Sie sieht so … zerbrechlich aus.“
    Santos antwortete nicht, und sie wusste, dass er vor Rührung nicht konnte. Auch sie musste gegen ihre Rührung ankämpfen, als sie leise sagte: „Ich wünschte, ich könnte dir versichern, dass alles wieder gut wird.“ Sie spürte seinen Kummer und seine Einsamkeit und hätte ihn gern tröstend umarmt. Sie wollte schon die Hand nach ihm ausstrecken, ließ es jedoch. Santos würde sie zurückweisen, und das würde wehtun. Das Recht, ihn zu berühren, hatte sie schon lange nicht mehr. „Das kann ich leider nicht, aber du sollst wissen, dass es mir schrecklich, schrecklich Leid tut.“
    Er sah sie an, und sie spürte, dass er dankbar war für ihre Unterstützung und ihre Gegenwart. In diesem Moment fühlte sie sich ihm so nah, wie sonst keinem anderen Menschen. Diese Nähe hatte ihr all die Jahre gefehlt.
    Sie hob eine Hand. „Santos, ich …“
    Er wich zurück. „Ich muss das Dezernat anrufen. Falls sie aufwacht, während ich weg bin, rufst du mich?“
    „Natürlich.“ Sie wandte sich wieder Lily zu, um sich nicht anmerken zu lassen, wie gekränkt sie war. „Ich hole dich sofort.“
    Lily wachte jedoch nicht auf. Auch in den nächsten sechs Stunden nicht. Glory blieb bei ihr, rief nur im Hotel an, suchte das Bad auf und holte aus dem Automaten im Flur Chips und Cola. Sie wollte unbedingt da sein, falls Lily erwachte, zumal sie fürchtete, es könnte nur kurz sein.
    Auch Santos wich kaum von Lilys Seite. Und so teilten sie sich den engen Raum wie zwei Gegner, die zwangsweise zusammen Wache hielten, ohne einander aufzumuntern.
    Schließlich stöhnte Lily und regte sich. Santos sprang auf und kam ans Bett. „Lily … Lily!“ Er nahm ihre Hand. „Ich bin es. Santos. Ich bin da.“
    Sie öffnete die Augen mit flatternden Lidern. Ihr Blick war auf ihn gerichtet, sie versuchte jedoch vergeblich zu sprechen.
    Glory atmete tief durch, um ihr Herzklopfen zu beruhigen. Die Handflächen wurden ihr feucht. Sie hatte Angst, Lily könne sie zurückweisen oder sie genüge ihren

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