Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
Ansprüchen nicht, so wie sie denen ihrer Mutter nie genügt hatte. Und sie hatte Angst, Lily mit einem falschen Wort zu kränken.
„Lily“, sagte Santos leise. „Hier ist jemand, der dich besuchen möchte.“
Glory stand auf und ging zur anderen Seite des Bettes. Lily richtete den Blick auf sie, und trotz ihrer Schwäche und der Medikamentenwirkung las Glory die Freude und das Erkennen in ihren Augen.
„Glo…ry?“
„Ja. Ich bin es.“ Glory kam noch näher. „Hallo, Großmutter.“
Lily blickte zu Santos, um sich zu vergewissern. Er nickte lächelnd. Sie sah wieder Glory an, und Tränen überfluteten ihre Augen. „Ich … habe so … lange gewartet.“
Glory nahm Lilys Hand in ihre. „Ich auch, Großmutter.“ Lily drückte sie, aber mit der Kraft eines Kindes. „Es ist schön, bei dir zu sein.“
Lily öffnete den Mund, um zu sprechen, brachte jedoch keinen Ton heraus. Santos hielt ihr eine Tasse Wasser an die Lippen. Sie trank und versuchte es wieder. „Deine … Mutter?“
Lilys verzweifelte Hoffnung veranlasste Glory, Santos unsicher anzusehen. Sie wollte Lily nicht mit der Wahrheit kränken.
„Sie konnte nicht kommen“, erklärte er ruhig. „Sie hatte Verpflichtungen … die sie nicht …“ Er beendete den Satz nicht. Lily ließ sich nicht zum Narren halten. Sie drehte den Kopf zur Seite, schloss die Augen, und Tränen rollten über ihre Wangen.
Glory brach das Herz. Zugleich wuchs der Zorn auf ihre Mutter. Sie drückte Lilys Hand. „Aber ich bin da, Großmutter. Ich wollte zu dir kommen.“ Lily sah sie an, und Glory beugte sich lächelnd weiter hinunter. „Ich möchte, dass wir uns kennen lernen. Vielleicht können wir ein bisschen von der Zeit nachholen, die wir versäumt haben.“ Lily wirkte so dankbar, dass es Glory schmerzte, es zu sehen. Sie legte Lilys Hand an ihre Wange. „Ich liebe dich, Großmutter. Und ich freue mich so, dass wir endlich zusammen sind.“
Glory setzte sich neben das Bett und plauderte leise, meistens Belanglosigkeiten. Gelegentlich stellte Lily eine Frage über ihr Leben, und die Antworten schienen ihr mehr als Gold wert zu sein.
Während Glory sprach, ging Santos hin und her, wie um überschüssige Energie loszuwerden, oder er stand beobachtend dabei. Glory war sich seiner Anwesenheit sehr bewusst, was sie mit der Zeit erschöpfte.
Schließlich kam die Schwester und scheuchte sie hinaus. Die Patientin brauche jetzt Ruhe, sagte sie, sie könnten später wiederkommen.
Glory ging mit Santos zum Fahrstuhl. Er drückte den Rufknopf, sah sie an, und die nackte Feindseligkeit in seinem Blick erschreckte sie.
„Wirst du sie wieder besuchen?“ fragte er. „Oder hast du damit deine Pflicht getan?“
Dass er so eine geringe Meinung von ihr hatte, erschütterte sie. Sie hatte sich eingebildet, die Kluft zu Santos allmählich zu überbrücken. Das war wohl ein Irrtum gewesen. Es fiel ihr nicht leicht, gelassen zu bleiben.
„Wie kannst du überhaupt so etwas fragen? Denkst du, für mich sei das alles ein Spiel? Glaubst du wirklich, ich würde dieser lieben alten Frau sagen, dass ich sie lieb habe, und sie dann kränken, indem ich nicht wiederkomme?“
„Es ging mir durch den Sinn.“
„Du Bastard!“ zischte sie. „Egal, was du denkst. Ich bin nicht wie meine Mutter. Ich komme zurück.“
„Gut.“ Er presste die Lippen zusammen. „Es hat ihr viel bedeutet, dass du da warst. Ich möchte nicht, dass ihr wieder das Herz bricht.“
„Auch mir hat es viel bedeutet“, entgegnete sie kühl. „Ehe du anfingst, dich wie ein Mistkerl aufzuführen, hatte ich sogar vor, dir zu danken.“
„Tatsächlich? Für was?“ fragte er übertrieben ungläubig.
Sie hätte gute Lust gehabt, ihn zu ohrfeigen, und schob die Hände tief in die Taschen, um sich selbst daran zu hindern.
„Für Lily natürlich“, presste sie hervor. „Ich habe das Gefühl, du hast mir ein Geschenk gemacht.“
„Lily zu kennen ist ein Geschenk. Aber sei versichert, Prinzessin, ich tue es nicht für dich“, fügte er schroff hinzu.
Damit wandte er sich ab und ging.
47. KAPITEL
Hope saß in ihrem weißen Sessel, ihre Lieblingsbibel auf dem Schoß. Die Geräusche des Sommerabends drangen durch die Scheiben: Insekten, gelegentliches Froschquaken, spielende Kinder und ein bellender Hund irgendwo im Block. Über ihr bewegte der Deckenventilator die warme feuchte Luft.
Sie legte den Kopf gegen die hohe Sessellehne und schloss die Augen. Je älter sie wurde, desto entschlossener
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