Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
Trotzdem hatte sie stets geglaubt, dass die zwei heiße und starke Gefühle füreinander hegten. Sie war überzeugt gewesen, dass sie im Guten wie im Schlechten für immer zusammenblieben, obwohl ihr Vater nicht glücklich dabei war.
Diesmal war ihr Schweigen jedoch anders gewesen. Nicht nur zornig und strafend, sondern kalt und hässlich, dass es sie manchmal beim Anblick ihrer Eltern geschaudert hatte. Sie hatte befürchtet, ihre Ehe sei am Ende.
Nach einem Gespräch mit Liz hatte sie dann sogar gehofft, die Ehe sei am Ende. Liz hatte ihr versichert, dass sie mit sechzehn wählen dürfe, bei welchem Elternteil sie leben wolle. Sie hatte sogar schon davon geträumt, wie es wäre, nur mit ihrem Vater zu leben, ohne den ständigen Argwohn und die Kritik ihrer Mutter.
Das Dinner gestern Abend hatte diesen Fantasien ein Ende bereitet. Ihre Eltern waren so glücklich erschienen wie seit langem nicht mehr.
Ein Teil von ihr war zornig gewesen auf ihren Vater. Sie verstand nicht, was er in ihrer Mutter sah oder welche Macht sie über ihn hatte. Ein anderer Teil war jedoch erleichtert gewesen. Indem die zwei sich aufeinander konzentrierten, hatte sie ungestört an Santos denken können.
Liz stieg aus und kam auf sie zu. „He, Glo. Was ist los? Du hast mich gestern Abend nicht angerufen.“
Glory zerrte Liz von den anderen, ebenfalls dem Bus entstiegenen Mädchen ihrer Schule fort. „Ich muss mit dir reden. Allein. Es ist wirklich wichtig.“
Liz blickte kurz über die Schulter und fragte mit gesenkter Stimme: „Was ist? Deine Eltern?“
Glory verneinte und beugte sich aufgeregt zu ihrer Freundin. „Liz, du wirst es nicht glauben. Ich habe einen wunderbaren Jungen kennen gelernt. Ich glaube, ich bin verliebt.“
Liz blieb stehen und sah Glory mit aufgerissenen Augen an. „Verliebt?“ wiederholte sie flüsternd. „Wer ist er? Wo hast du ihn kennen gelernt?“ Sie nahm Glorys Hände. „Erzähl mir alles.“
Glory tat es und ließ kein Detail aus. Sie beschrieb Santos: sein Gesicht, die Haarfarbe, die Statur, die tiefe Stimmlage und sein Lachen, das ihr unter die Haut ging. Schließlich erzählte sie von seinen Küssen und ihrer überwältigenden körperlichen Reaktion darauf. „Ich habe viele Jungs geküsst, Liz. Aber das war anders, es war etwas Besonderes.“
„Wie kannst du sicher sein, dass es Liebe ist? Ich meine, du weißt nichts von ihm.“
Der Verkehr ließ nach, und sie überquerten die St.-Charles-Avenue. „Ich weiß, aber ich habe noch nie solche Gefühle gehabt. Es ist sonderbar, und dabei haben wir nur ein paar Stunden miteinander verbracht. Er hatte etwas an sich … etwas …“
Sie verstummte, weil sie keine Worte fand, ihren Eindruck zu beschreiben. Und sie wollte Liz so gern mitteilen, was sie empfand. Liz sollte zustimmen. Sie war ihre beste Freundin, und ihre Meinung war ihr wichtig.
„Als ich mit ihm zusammen war, habe ich vergessen, wer ich war und wo ich war. Ich war mit jeder Faser auf ihn konzentriert, auf die Berührung seiner Lippen und Hände. Irgendwie war mir, als hätte ich mein ganzes Leben darauf gewartet. Das klingt dumm, wie irgendein Märchen. Aber so war das nun mal.“ Glory verstummte, um ihre Gedanken zu sammeln, und sah ihre Freundin mit strahlenden Augen an. „Du wirst mich für verrückt erklären, doch ich hatte dieses überwältigende Gefühl, diese Gewissheit … dass er der Richtige ist.“
Liz schluckte hörbar und riss die Augen auf. „Der Richtige?“
„Ja.“ Glory drückte ihre Bücher fester an sich. „Der Richtige. Der Mann … fürs Leben. Mein Schicksal oder so etwas.“
„Du meinst so etwas wie dein Seelenverwandter.“
Sie passierten das schmiedeeiserne Tor der Akademie. Glory nickte und seufzte tief. „In dem Augenblick hätte ich alles für ihn getan.“
„Das ist absolut cool. Und es klingt so romantisch.“ Liz erschauerte. „Aber es macht mir auch Angst, Glory.“
„Mir nicht.“ Sie drehte sich lachend. „Ich gehe wie auf Wolken!“
„Während du da oben bist“, meinte Liz trocken, „tritt vorsichtig auf. Schwester Marguerite hat dich gerade im Visier.“
Tatsächlich stand die Schulleiterin vor dem Hauptportal, die Augen auf Glory gerichtet. Sie blieb stehen und wandte sich ihrer Freundin zu, um nicht von der Schulleiterin belauscht zu werden. „Ich muss ihn wieder sehen, Liz. Ich muss einfach.“
Liz drückte ihre Bücher fester an die Brust. „Aber wie? Ich meine, wie willst du ihn finden?“
„Ich werde mich
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