Verbotene Lust
das dann?«
Daniel lehnte sich zurück. »Ich denke, zweierlei. Erstens: Marlene lebt. Sie hält sich irgendwo versteckt und weidet sich an deinem Elend, während die Polizei dich für ihren Mörder hält. Das ist ihre Form der Strafe, ihre persönliche Rache. Sobald das öffentliche Interesse an dir abflaut, wird sie aus ihrem Versteck kommen und versuchen, dich durch neue Diffamierungen unter Druck zu setzen. Und ich vermute, sie wird genug gegen dich in der Hand haben, um das zu tun?« Der scharfe Blick, mit dem Daniel ihn bedachte, ließ André zusammenzucken.
»Und zweitens?«, fragte er hastig.
»Sonja hat mich beauftragt.«
»Ja, das hast du vorhin bereits erwähnt. Wie soll mir das helfen?«
»Denk mal drüber nach.«
André schloss einen Moment die Augen. Sie glaubt an mich, dachte er. Sie glaubt an meine Unschuld, sonst hätte sie nicht sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, was wirklich dahintersteckte.
Er blickte auf und nickte. »Weißt du, wo sie ist?«
»Ich weiß es nicht genau. Sicher, mich würde es nur wenig Aufwand kosten, es herauszufinden.« Daniel grinste. »Aber ich würde dir raten, ihr jetzt erst mal Zeit zu geben«, fügte er vorsichtig hinzu. »Wir haben im Moment keine Ahnung, welche Schritte Marlene unternehmen wird, sobald sie merkt, dass du nicht länger verdächtigt wirst. Und nach dem, was ich über die junge Dame weiß, würde ich mich an deiner Stelle davor fürchten.«
André nickte. Sie sprachen nicht aus, was sie tatsächlichdachten: Dass Sonja diese Aufregung im Moment nicht gebrauchen konnte. Dass sie ihr Buch vollenden musste und dass es das Beste für sie war, wenn sie aus der Schusslinie genommen wurde.
»Was machen wir jetzt?«, fragte André.
»Erst mal machen wir gar nichts. Außer warten.«
Das war von allen Möglichkeiten, die sich ihm boten, vermutlich die, die ihm am schwersten fiel, dachte André.
Aber wahrscheinlich blieb ihm nichts anderes übrig.
15. Kapitel
Sonja lehnte sich zurück. Sie starrte auf den Computerbildschirm, und dann tippte sie die letzten Buchstaben ihres Romans.
Ende.
Sie speicherte. Dann erst erlaubte sie sich, tief durchzuatmen. Sie hatte unwillkürlich die Luft angehalten, weil sie es selbst nicht glauben konnte, dass der Roman endlich fertig war.
Aber es war vollbracht. Und morgen war ihr Abgabetermin.
Sie stand auf und streckte sich. Ihre Muskeln protestierten leise, und in ihrem Rücken knackte etwas. Sie lächelte, ignorierte den Schmerz und ging in die kleine Küchennische.
Seit zwei Wochen war sie in dieser kleinen Wohnung in der Altstadt von Lübeck untergeschlüpft. Sie ging kaum vor die Tür – Gregor hatte für sie einen ausgezeichneten Lieferservice aufgetan, bei dem sie alles bestellen konnte – und bekam noch seltener Besuch. Nur zweimal hatte Gregor sie besucht, und beide Male war er nach einem gemeinsamen Abendessen wieder gegangen.
Die Stille tat ihr gut. Es war besser als im Strandhaus. In dieser fremden Umgebung, völlig auf sichallein gestellt, konnte sie sich ganz und gar ihrem Roman widmen, so dass sie manchmal vergaß, dass es eine Welt da draußen gab.
Sie schaltete ihr Handy wieder ein. Unwillkürlich musste sie lächeln, weil wie jeden Abend etwa ein halbes Dutzend Nachrichten von André aufblinkte.
Sie hatte sich kein einziges Mal bei ihm gemeldet. Seitdem sie untergetaucht war, führten sie einen einseitigen Dialog. Er schrieb ihr Kurznachrichten, sie schwieg. Seine Nachrichten waren verständnisvoll, witzig, aus ihnen sprach seine Liebe für sie, aber auch sein Kampfgeist. Er hatte sie nicht aufgegeben, doch respektierte er, dass sie nach den Ereignissen im Strandhaus hatte fliehen müssen.
Sie las seine Nachrichten. Bei der letzten klickte sie auf ›antworten‹ und schrieb einfach nur: »Fertig!«
Er würde es verstehen.
Sie schloss den Drucker an ihr Notebook an, druckte die letzten Seiten aus und speicherte das Manuskript auf dem USB-Stick. Dann schickte sie die Datei noch an eine E-Mail-Adresse, auf die sie von jedem Computer aus zugreifen konnte.
Schließlich saß sie einige Minuten lang einfach nur da und genoss dieses herrliche Gefühl, etwas vollbracht zu haben.
Dann nahm sie ihr Handy und rief Gregor an.
Es war an der Zeit, ein paar Entscheidungen zu treffen.
Was sie an Gregor in den letzten zwei Wochen zu schätzen gelernt hatte, war seine ruhige Art. Seine bedingungslose Unterstützung. Seine Zurückhaltung. AllesDinge, die sie sich auf die eine oder
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