Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
von London. Wenn es Frühling wird.«
Am Freitagabend brachen Andrew und Elizabeth schon früh auf, weil sie noch Joanna und Edward, die tatsächlich Karten bekommen hatten, und Belinda abholen mußten. Elizabeth hatte sich sehr sorgfältig zurechtgemacht, denn sie hatte aus einem unbewußten Gefühl heraus den Eindruck, dieser Abend sei etwas Besonderes. Sie trug ein zartblaues Musselinkleid mit hochgeraffter Taille und einem tiefen, spitzenumsäumten Ausschnitt, der Hals und Schultern frei ließ. Ihre Haare hatte sie in vielen kleinen Locken hochgesteckt, und nur über die Ohren fielen lange, gekräuselte Strähnen herab. Um ihre Stirn schlang sich ein Reif aus Silber, wie sie es auf Bildern in Modejournalen oft gesehen hatte. Andrew hatte Hosen aus weißem Satin an, darüber einen
schwarzen Frack und eine schneeweiße breite Spitzenkrawatte, die sich eng um seinen Hals schloß. Elizabeth fand, daß er heute besonders attraktiv aussah. Sein hellblondes Haar lag in weichen Wellen um seinen schmalen Kopf, zusammengebunden mit einer breiten Schleife, und seine Augen wirkten noch dunkler als sonst.
Sie holten Joanna und Edward mit ihrer Kutsche ab, und dann eine aufgeregte Belinda, die eine gewaltige Straußenfeder im Haar trug und Goldpuder um ihre Augen verteilt hatte, der so staubte, daß ihr immerzu die Tränen kamen. Das Opernhaus von Covent Garden ragte festlich erleuchtet in den schwarzen Winterhimmel, erfüllt von Stimmen, Gelächter und den sanften Tönen einzelner Musikinstrumente, die eingespielt wurden. Als sie auf das Portal zuschritten, begannen die Glocken der Londoner Kirchen zu läuten, dunkel und schwer, und Elizabeth bemerkte, wie ein Gefühl von Furcht und Einsamkeit sie ergriff. Es mußte an dem gewaltigen Bau vor ihr liegen und an den Glocken, daß es sie plötzlich mit aller Gewalt schauderte. Vielleicht war es einfach die Nacht. Solange sie lebte, schien es ihr, würde sie mit dieser kindischen, schrecklichen Angst vor der Dunkelheit nicht fertig werden, die sie bereits aus Louisiana mitgebracht hatte und die sie eine ganze Kindheit hindurch unfähig gemacht hatte, nachts allein in einem Zimmer zu schlafen. Seit sie mit Andrew lebte, war es besser geworden, aber heute flackerte die Angst wieder auf.
Wahrscheinlich hatte Andrew recht, wenn er darauf drängte, sie sollten London so bald wie möglich verlassen. Hier konnte sie keine Ruhe finden, noch weniger, seit sie wußte, daß auch John sich in der Stadt aufhielt.
Innen stiegen sie eine geschwungene Marmortreppe hinauf bis zu der mit rotem Samt ausgeschlagenen Loge, in der sie ihre Plätze hatten.
Belinda stieß plötzlich einen leisen Schrei aus und krallte ihre Finger in Joannas Arm.
»Sieh nur«, zischte sie, »Sir Wilkins!«
Sir Wilkins saß in derselben Loge wie sie und blätterte gerade
in seinem Programmheft. Er erkannte Belinda im selben Augenblick, da sie ihn sah, stand auf und verneigte sich in ihre Richtung.
»Nein, welch eine Dreistigkeit!« empörte sich Belinda. »Wißt ihr noch, welch ein kompromittierendes Verhalten er im November an den Tag legte? Und nun wagt er es schon wieder, mit mir zu flirten, obwohl ich gerade erst Witwe bin!«
»Er flirtet doch noch gar nicht«, meinte Joanna, »komm, Belinda, setz dich neben ihn. Er wartet darauf.«
»Ich weiß nicht...« Belinda zierte sich eine Weile, aber dann nahm sie natürlich doch neben ihrem Verehrer Platz, weil sie viel zu sehr geschmeichelt war, um seine Aufmerksamkeit zu übersehen.
»Er wird noch ihre große Liebe«, flüsterte Joanna Elizabeth zu, die darüber lachen mußte. Das Angstgefühl verflog. Es gehörte zu Belindas guten Eigenschaften, daß sie mit ihrem ewig gleichen Gehabe unweigerlich Stimmungen zerstörte, auch schlechte. Die vielen Geräusche, Stimmen, das Gelächter und die Rufe verstummten, als die Musik einsetzte. Das Orchester befand sich direkt vor der Bühne, auf der aus bemalten Holzwänden eine neblig-graue Heidelandschaft aufgestellt war, aus der die drei alten Hexen hervorkamen.
In den billigen Rängen pfiffen ein paar Straßenjungen und warfen einer der greulich zugerichteten Frauen, in der deutlich ein hübsches junges Mädchen steckte, mehrere Kupfergeldstücke zu. Das Ensemble des Covent Garden Theatre war, ebenso wie das von Drury Lane, in der ganzen Stadt immer sehr genau bekannt und mit der Halbwelt ebenso verflochten wie mit dekadenten Londoner Gecken.
Jede ansehnliche Schauspielerin hatte daher Abend für Abend ihre
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