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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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mißmutiges Gesicht.
    »So früh am Morgen? Nun gut. Sag ihr, ich komme.«
    Sie stand auf, zog ihren seidenen Morgenmantel an und kämmte sich vor dem Spiegel ihre schönen blonden Haare. Ihr
blasses Gesicht war schmaler geworden seit dem vergangenen November, und heute früh waren ihre Augen gerötet. Sie hatte nachts an Arthur gedacht und plötzlich angefangen, heftig zu weinen. Die Trostlosigkeit des Witwendaseins überfiel sie häufig in diesen langen, dunklen Winternächten, wenn sie ganz allein im Bett lag und aus dem Nebenzimmer das klägliche Schluchzen ihres kleinen Sohnes drang, der zu den unmöglichsten Zeiten etwas zu trinken haben wollte und erst verstummte, wenn seine dicke alte Kinderfrau mit ihrem weißen Nachthäubchen auf den aufgelösten grauen Haaren leise herbeihuschte und ihn beruhigend schaukelte. Ein toter Ehemann, ein winziges Kind, eine ausschweifend lebende Mutter und keine Freunde — Belinda fand ihre Lage verzweiflungsvoll. Immerhin gab es Joanna Sheridy, mit der sie sich in der letzten Zeit einigermaßen gut verstand, wenn sie auch ihr gegenüber ein etwas schlechtes Gewissen hatte. Als Kind war sie ziemlich scheußlich zu ihr gewesen, das mußte sie nachträglich zugeben. Durch die tragischen Ereignisse der letzten Monate war Belinda merklich reifer geworden. Mit einemmal bewunderte sie sich selbst nicht mehr ganz so wie früher.
    Sie verließ ihr Zimmer und stieg, noch immer verschlafen, die breite geschwungene Treppe hinunter. Am untersten Absatz stand eine Frau, nicht mehr ganz jung, aber sehr attraktiv, mit langen roten Haaren und einem scharf geschnittenen, ein wenig lauernden Gesicht.
    Sie trug die übliche einfache braune Kleidung der Londoner Dienstboten.
    »Guten Morgen, Mylady«, grüßte sie, ehrerbietig knicksend, »es tut mir leid, daß ich zu so früher Stunde störe...«
    »Es ist schon gut. Ich habe nicht mehr geschlafen. Was gibt es denn?«
    »Sie erkennen mich nicht? Ich heiße Samantha, Mylady. Ich war Küchenmädchen im Hause des Lord Sheridy, vor vielen Jahren, als Sie, Mylady, noch ein Kind waren und immer hinüberkamen zu Miss Joanna und Miss Elizabeth!«
    »Ah«, in Belindas Bewußtsein trat dunkel eine Erinnerung,
»ja, es fällt mir ein... es gab da eine Samantha. Aber es tut mir leid, ich hätte dich nicht mehr erkannt. Es sind zu viele Jahre vergangen seitdem.«
    »Wirklich nicht mehr erkannt?« In Samanthas Stimme schwang ein seltsames Erschrecken mit, fast so, als habe sie fest damit gerechnet, erkannt zu werden, und bereue unter diesen Umständen die Preisgabe ihrer Identität. Aber sie fing sich rasch wieder.
    »Ich ging dann ja auch bald weg von den Shendys«, sagte sie, »ich trat in Miss Cynthias ... in Lady Ayleshams Dienste. Bis zu jenem traurigen Abend...« Sie schwieg taktvoll.
    »O ja, es hat uns alle erschüttert«, sagte Belinda, die die Ereignisse damals überaus reizvoll gefunden hatte, »arme Lady Sheridy, es muß ihr das Herz gebrochen haben! Und dann Elizabeths Verhältnis mit diesem Taugenichts! Nun ja, offenbar konnte das den Earl Locksley auch nicht davon abhalten, sie zu heiraten! Ich muß sagen, daß ich das doch etwas...« Sie brach ab, denn ihr wurde bewußt, daß sie zu einem Dienstboten sprach, und selbst ihr war im Laufe ihres Lebens klargeworden, daß Tratsch gegenüber der Dienerschaft gefährlich werden und unübersehbare Intrigen nach sich ziehen konnte.
    »Weshalb kommst du her?« fragte sie daher geschäftig.
    »Ich arbeite inzwischen für Lady Stanford«, antwortete Samantha, »sie schickt mich, Ihnen etwas von ihr zu geben. Sie selbst ist schon auf dem Weg nach Northumberland, weil ihr London zu grau wurde.«
    »Ja, jemand erzählte davon. Wie kann man nur die Saison auf dem Land verbringen wollen?«
    »Nun ja, jedenfalls ist sie heute früh abgereist, Mylady. Ich bringe nur noch das Haus in Ordnung, dann reise ich nach. Aber Lady Stanford ist ein Mißgeschick unterlaufen. Sie dachte nicht an die geplante Reise und kaufte für den nächsten Freitag drei Karten für ›Macbeth‹ im Covent Garden Theatre — Sarah Kemble, Mylady, als Lady Macbeth...«
    »Oh«, machte Belinda gedehnt. Sie hatte für Shakespeare nicht viel übrig, obwohl er in England mit einer Leidenschaft gespielt
wurde, als gebe es keinen anderen Dichter auf der Welt. Aber das Land sprach auch von Sarah Kemble, der verheirateten Mrs. Siddons, jener blassen, unscheinbaren Frau, die als eine der größten Tragödinnen in der britischen Geschichte gefeiert

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