Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
laut, wenn ihm irgend jemand etwas Komisches erzählte. Schließlich erblickte er Elizabeth und Joanna, die sich auf einer Treppenstufe niedergelassen hatten,
von der aus sie bequem alle Leute beobachten und über sie lästern konnten. Aylesham lächelte ihnen jovial zu.
»Na, mein Engel«, sagte er zu Joanna, »hast du vielleicht Cynthia irgendwo gesehen?«
»Nein. Sie wird wohl durchgebrannt sein.«
Der Lord lachte dröhnend.
»Ganz schön freche Zunge, die Kleine. Du bist sanfter, Elizabeth, nicht wahr?«
Elizabeth sah ihn verachtungsvoll an. Anthony merkte die giftige Stimmung, die ihm entgegenschlug. Seine Miene verfinsterte sich.
»Wie gut, daß ich Cynthia geheiratet habe und nicht eine von euch«, sagte er. »Cynthia weiß, daß Sanftmut die wahre Schönheit einer Frau ausmacht!«
»Dann geben Sie nur acht, daß Sie nicht während Ihrer ganzen Ehe auf der Suche nach ihr sind«, entgegnete Joanna spitz. Anthony blicke sie zornig an und verschwand.
»Nun weiß er, daß wir immer hinter Cynthia stehen«, sagte Joanna zufrieden. Sie unterhielten sich noch eine Weile, dann entdeckte Elizabeth plötzlich John, der in der Tür zum Salon lehnte und, wie ihr schien, ein wenig spöttisch die Menge betrachtete. Seit sie ihn vor vier Jahren überraschend in London getroffen hatte, war sie ihm nur noch einmal begegnet, als er seinen Vater nach Heron Hall gebracht hatte, wo dieser einige Wochen als Phillips Gast lebte. Dem alten Lord Carmody ging es gesundheitlich recht schlecht, weswegen er die weite Reise nicht hatte allein antreten können. John hatte sich allerdings nicht lange aufgehalten, zwischen seinem Vater und ihm herrschte nicht gerade Harmonie und zwischen Phillip und ihm ohnehin nicht. Bevor er gegangen war, war er aber mit Elizabeth ausgeritten, und sie hatte noch tagelang in seliger Erinnerung an dieses Ereignis gelebt.
Nun sah sie ihn wieder, an einem Tag, an dem sie nicht damit gerechnet hatte. Hastig stand sie auf.
»Dort drüben ist John Carmody«, sagte sie, »ich sollte ihn begrüßen. « Inbrünstig hoffte sie, Joanna werde zurückbleiben. Sie
hatte Glück. Im gleichen Moment, da sie aufstand, erschien oben an der Treppe Cynthia.
»Joanna, komm bitte einmal herauf!« rief sie. Joanna verschwand. Elizabeth durchquerte die Halle. Sie hoffte, daß sie hübsch aussah, und bedauerte, daß sie ein schrecklich kindliches gelbes Kleid trug. Wenigstens gelang es ihr noch, den Kranz aus kleinen, gelben Papierblumen, den sie auf Harriets Wunsch heute im Haar trug, abzunehmen und in eine Salatschüssel fallen zu lassen. Dann erst trat sie auf John zu.
»Sir Carmody«, sagte sie lebhaft, »ich wußte gar nicht, daß Sie hier sind!«
John schien erfreut, ein bekanntes Gesicht zu erblicken.
»Guten Tag, Elizabeth«, sagte er, »nett, dich zu sehen. Wie geht’s?«
»Gut, und Ihnen?«
»Danke. Du weißt, ich passe schon auf, daß für mich immer das Beste abfällt!«
Er hatte noch die gleiche selbstironische Art zu sprechen wie früher, aber diesmal verriet sein Äußeres, daß er nicht die Wahrheit sprach. Er sah schlecht aus, blaß und angegriffen, seine Kleidung war abgetragen und fleckig. Das vermochte er auch dadurch nicht zu verbergen, daß er fast provozierend nachlässig an der Wand lehnte. Ganz ohne Zweifel fiel seit einiger Zeit schon nicht mehr das Beste für ihn ab.
»Ich finde es gut, daß Onkel Phillip Sie eingeladen hat«, meinte Elizabeth nach einer kurzen Pause, in der sie ihre Bestürzung hinunterkämpfen mußte. John grinste.
»Onkel Phillip hat mit Sicherheit geglaubt, ich würde nicht kommen«, erwiderte er, »aber ich war gerade in der Nähe, und ich sah dieses Fest als eine gute Gelegenheit, mich satt essen zu können!«
Sie starrte ihn an.
»Oh, ich ahnte nicht... Müssen... müssen Sie Hunger leiden ?«
»Manchmal. Aber da ich einen großen Namen trage, werde ich häufig eingeladen. Und das nutze ich rücksichtslos aus!«
»Aber wovon leben Sie sonst?«
»Mal dies, mal das«, antwortete er ausweichend. »Mach keine so großen Augen, Elizabeth, ich bin noch nicht am Sterben. Aber du könntest mir einen großen Gefallen tun. Geh dort hinüber an den Tisch und bring mir ein paar belegte Brote. Ich habe mir jetzt schon so viele geholt, daß es mir langsam peinlich wird, wieder zu erscheinen. Tust du das für mich?«
Elizabeth nickte. Sie schleppte einen riesigen Stapel Brote heran, verfolgt von den schockierten Blicken einiger Leute.
»Reizend, daß du uns noch etwas
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