Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
übriggelassen hast«, bemerkte eine alte Dame spitz.
»Ja, nicht wahr?« erwiderte Elizabeth freundlich. Arme, alte dicke Lady, wieviel wunderbarer als sie war doch ein hungriger Herumtreiber mit nervösen, wachen Augen. Sie empfand eine warme Zärtlichkeit, als sie sein aufleuchtendes Gesicht sah.
»Wunderbar, du hast alles abgeräumt«, sagte er anerkennend, »komm, wir suchen uns einen ungestörten Platz zum Essen!«
Sie fanden ein kleines Hinterzimmer, in dem kein Feuer brannte und kein Mensch sich aufhielt. Dort setzten sie sich auf ein Sofa und verspeisten die Brote. Es war entsetzlich kalt in dem Zimmer, aber Elizabeth bemerkte es kaum. Sie genoß es, dicht neben John zu sitzen, ungestört von jeder anderen Menschenseele auf der Welt. Seltsam, daß sie nicht einmal Joanna etwas von ihren Gefühlen erzählt hatte und daß sie sicher wußte, daß sie es auch so schnell nicht tun würde. Es gab sonst gar nichts, was sie nicht mit der Freundin geteilt oder besprochen hätte, lebten sie doch in so inniger, untrennbarer Freundschaft. Aber John war schon früh in ihr ein Traum geworden, von dem sie ahnte, daß er zerstört würde, geriete er in das kichernde Gespräch zweier kleiner Mädchen. War sie mit ihm zusammen, dann glaubte sie sich älter, meinte einen Anflug dessen zu spüren, was Liebe zwischen Menschen bedeuten konnte. Wie hätte sie das Joanna erklären sollen, in deren Gegenwart sie wieder zwölf Jahre alt war und zum Kind wurde? Nein, hierüber mußte sie schweigen und für sich alleine träumen, von Nachmittagen wie diesem, wenn sie mit ihm in einem abgelegenen Salon saß und geklaute
Brote verzehrte und er eine Flasche Wein im Schrank fand, von der sie auch einen Schluck bekam, so daß ihr schließlich doch noch ganz warm wurde.
Zur gleichen Zeit, als Elizabeth und John in ihrer Mahlzeit schon beim Wein angelangt waren, kam Joanna wieder die Treppe herunter. Cynthia hatte sie heraufgerufen, um sie zu bitten, für einige Zeit bei Harriet zu bleiben, die wieder auf ihrem Sofa lag. Cynthia hatte ihr schon die ganze Zeit Gesellschaft geleistet.
»Aber ich muß mich endlich wieder unten blicken lassen«, sagte sie zu Joanna, »die Braut kann nicht die ganze Zeit fort sein. Bleibst du?«
Joanna blieb. Sie setzte sich neben Harriet, versuchte, mit ihr zu plaudern, und fand die Situation schrecklich trist. Harriet sprach nur mit schwacher Stimme und hielt die Augen ständig halb geschlossen.
»Die Trauung heute früh hat mich ein bißchen angestrengt«, murmelte sie, »es wird mir aber gleich bessergehen. Ich bin froh, daß du hier bist, Joanna!«
»Schlaf ruhig, Mutter. Ich bleibe bei dir«, entgegnete Joanna sanft, aber es zuckte ihr in den Füßen, aufzuspringen und wieder hinunterzulaufen. Gedämpft drangen Stimmengemurmel, Gelächter und Gläserklirren in den halbdunklen Raum. Nein, daß sie hier sitzen mußte, fern vom Trubel dieses Tages! Gleich darauf befiel sie Scham wegen dieses Gedankens. Sie wollte doch nicht so reden wie Cynthia. Sie betrachtete das blasse Gesicht auf dem spitzenverzierten Kopfkissen, die bläuliche Aderverzweigung in den gesenkten Lidern, das sanfte Pochen hinter den Schläfen. Harriets Stirn war höher geworden in den letzten Jahren, die Augen lagen tiefer zurück. Ein krankes, gequältes Gesicht. Zum erstenmal kam Joanna der Gedanke, daß ihre Mutter sterben könnte, vielleicht im nächsten Jahr oder noch früher oder auch etwas später, aber in jedem Fall wäre sie vielleicht plötzlich nicht mehr da.
»Fühlst du dich sehr schlecht?« fragte sie leise. Harriet lächelte schwach.
»Wenn ich liege, geht es mir besser. Und wenn du bei mir bist!«
»Bist du traurig, daß Cynthia fortgeht?«
»Nicht, wenn sie glücklich wird. Und ich habe ja noch dich. Und Elizabeth.«
»Und George!«
»George gehört Phillip. Er ist so froh über ihn! Schon jetzt hat er ihm ein eigenes Pony geschenkt. Ach, wie gut, daß ich noch einen Sohn bekommen durfte!« Harriet schloß wieder die Augen.
Nach einer Weile kam es Joanna vor, als sei ihre Mutter eingeschlafen. Sie atmete ruhig, und ihr Gesicht hatte sich etwas entspannt. Joanna stand leise auf. Sie hatte kein gutes Gewissen dabei, aber es lockte sie so sehr, wieder hinunterzugehen. Sie verließ den düsteren Raum und schloß aufatmend die Tür hinter sich.
Unten wurde es inzwischen immer lebhafter. Die Stimmung lockerte sich von Minute zu Minute, der Champagner und die lebhafte Tanzmusik taten ihre Wirkung. Joanna sah,
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