Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
daß auch Cynthia tanzte. Zu ihrer Erleichterung schien die Schwester sehr glücklich zu sein. Elizabeth war nirgends zu entdecken, und so schlenderte Joanna einfach durch die Räume und lauschte hier und da auf Gespräche.
Fast alle anwesenden Männer waren inzwischen bei der Politik gelandet. Natürlich ging es hauptsächlich um Frankreich, von wo seit Monaten schon die schauerlichsten Schreckensmeldungen durch ganz Europa zogen. Das Unglaublichste jedoch hatte sich erst vor wenigen Tagen ereignet und schien jedem kaum faßbar. Am 21. Januar hatte das entfesselte Volk den eigenen König, Seine Majestät Ludwig XVI., auf die Guillotine geschleppt und öffentlich enthauptet. In allen Ländern löste dieses Ereignis Entsetzen aus. Man war auf vieles gefaßt gewesen, seit im August des vergangenen Jahres nach einem Aufruf des Jakobiners Marat die Tuilerien gestürmt worden waren, die Leibgarde in einer grausigen Blutorgie niedergemetzelt und die Königsfamilie verhaftet worden war, seit die Woche der entsetzlichen Gefängnismassaker, der Septembermorde, vorübergegangen war. Das Königtum
wurde im September abgeschafft und Frankreich zur Republik erklärt. Zwei Monate später besetzten französische Truppen die österreichischen Niederlande, nachdem sie zuvor den Rhein überschritten und dessen linkes Ufer eingenommen hatten. Zum Schrecken Europas schien dieses unheilvolle Land plötzlich auch noch von hemmungslosen Expansionsgelüsten getrieben zu werden. Aber niemals hätte man geglaubt, daß sogar der König ein Opfer werden würde. Selbst Anhänger der Revolution, die in England noch vor kurzem deren Notwendigkeit gepriesen hatten, verstummten nun.
Joanna, die ziellos zwischen den einzelnen Gesprächsgruppen herumschlenderte, sah ihren Vater, der inmitten einer großen Gruppe älterer Herren stand und erregt auf die anderen einsprach. Seine grauen Haare schienen sich beinahe zu sträuben vor Wut. »Von Anfang an habe ich das prophezeit«, sagte er gerade, »ich wußte, daß diese Revolution in einem Blutbad ohnegleichen enden würde. Es konnte gar nichts anderes geschehen!«
»Ich hätte nie geglaubt, daß sie den König hinrichten würden«, meinte ein anderer, »ich dachte, sie scheuten vor diesem Schritt zurück.«
»Vielleicht, wenn der König nicht versucht hätte zu fliehen... «
»Es wäre immer dasselbe gewesen. Sie mußten ihn vernichten, wenn sie das vollkommene Ziel dieser Revolution erreichen wollten.«
»Ja, aber«, fragte ein dritter, »was ist das vollkommene Ziel dieser Revolution?«
Phillip lächelte ironisch.
»Die Volkssouveränität«, erwiderte er, »nicht länger der Monarch, das Volk ist der einzige Souverän im Staat. Streng nach Rousseau. Sein Gesellschaftsvertrag ist die neue Bibel Frankreichs! «
»Haben Sie ihn gelesen, Phillip?«
»Ja. Konfuses Geschreibsel. Aber natürlich göttliche Offenbarung im Verständnis der Revolutionäre!«
»Nun, jedenfalls ist dort, soviel ich weiß, nicht die Rede von der Ermordung des Monarchen. Diese Konsequenz zieht Rousseau nicht!«
»Aber meine Herren!« ein dritter Mann lächelte etwas ironisch in die Runde. »Das, worüber Sie sich jetzt so erregen, ist schließlich auch schon einmal dagewesen! Und sogar im eigenen Land!«
»Sie sprechen von Charles I.?«
»Ja. Es war auch ein Januartag, da stieg er in London aufs Schafott, verurteilt als Tyrann und Verräter am englischen Volk - die Anklageschrift unterscheidet sich kaum von dem, was man König Ludwig vorwarf!«
»Das ist doch nicht zu vergleichen!« rief Phillip heftig. »Damals gab es einen Krieg, einen Bürgerkrieg, der, wie auch immer man die eine oder andere Seite beurteilen will, nach offiziellen Kriegsbedingungen geführt wurde. Die Sieger ließen ihren größten Gegner hinrichten - ich verurteile das natürlich -, aber die ganze Sache hatte einen rechtmäßigeren Charakter als der Blutrausch, dem das Proletariat in Frankreich augenblicklich erliegt! «
»Phillip hat recht. Ich würde Oliver Cromwell wirklich nicht als einen Engel des Herrn bezeichnen, aber er kommt doch nicht an Robespierre heran, diesen Teufel in Menschengestalt!«
»Er ist schlimmer als Marat?«
»Ja. Robespierre ist eiskalt. In ihm brennt nicht das Feuer, das die Revolution trägt und die Menschen fast verglühen läßt. Er behält seinen klaren Kopf und berechnet jeden Schritt, den er tun wird.«
»Und vielleicht schwingt er sich eines Tages zum neuen Herrscher auf«, sagte Phillip nachdenklich. »Es
Weitere Kostenlose Bücher