Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Anthony noch vor wenigen Stunden seine Gäste begrüßt hatte. Es standen viele Leute dort oben, hielten sich am Geländer fest und starrten hinunter, doch weder Anthony noch Cynthia befanden sich unter ihnen.
»Ruhe!« verlangte Willoughby. »Ich möchte keinen Laut hören ! Niemand bewegt sich von der Stelle, und niemand verläßt das Haus!«
»Ich finde das einfach unerhört!« empörte sich eine Frau.
Elizabeth gewahrte Lady Viola, die mit unsicheren Schritten vortrat. Der wilde Abend hatte bereits seinen Tribut gefordert, sie blickte aus völlig glasigen Augen in die Gegend, trug nur noch einen ihrer Ohrringe, und von einem ihrer Augenlider waren die falschen Wimpern herabgefallen, was ihrem Gesicht einen grotesken Ausdruck verlieh.
»Was denken Sie sich, das schöne Fest zu stören?« fragte sie aggressiv. »Wer hat Sie eingeladen?«
»Ich muß Sie bitten, diese Fragen zu unterlassen, Madam«, wies Willoughby sie scharf zurecht.
»Was erlauben...« Irgend jemand erbarmte sich ihrer und zog sie in die schützende Masse zurück. Willoughby sah sich um.
»Wo ist Sir Brisbane?« fragte er. Der Mann, der Elizabeth angesprochen hatte, während sie John suchte, drängte sich nach vorn.
»Sir, ich hatte Aylesham bereits gefunden«, berichtete er, »es gelang mir nicht, ihn im Auge zu behalten. Er müßte sich jedoch noch im ersten Stock des Hauses befinden.«
Elizabeth seufzte erschrocken.
»Der Kerl ist ein Spion«, flüsterte sie, »er hat mich ausgefragt. Ach du lieber Himmel, warum habe ich das denn nicht gleich gemerkt!«
John, der vor ihr stand, drehte sich zu ihr um.
»Was haben Sie gesagt?«
»Anthony und Cynthia sind in Gefahr. Sie sollen verhaftet werden.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß es seit einigen Wochen. Lord Aylesham hat...« Elizabeth sah sich vorsichtig um, aber niemand schien ihrer wispernden Stimme zu lauschen. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf Willoughby. So schnell sie konnte, berichtete sie, was geschehen war.
»Was sollen wir bloß tun?« fragte sie dann verzweifelt.
John stellte keine weiteren Fragen, sondern wich vorsichtig zurück, wobei er Elizabeth mitzog.
»Glauben Sie, die beiden sind noch im Haus?« fragte er leise.
»Ich habe keine Ahnung. Ich nehme es an.«
Hauptmann Willoughby stellte offenbar ähnliche Überlegungen an wie John.
»Smythe«, wandte er sich an einen Mann, »Sie umstellen mit zwölf Leuten das Haus. Aylesham darf nicht entkommen!«
Wieder ging ein Raunen durch den Saal. Die Gäste waren verwirrt und entsetzt, aber niemand wagte zu fragen. Willoughby schritt den Gang entlang und begann langsam die Treppe hinaufzusteigen.
Belinda, die auf dem mittleren Absatz stand, raffte ihr Kleid und preßte sich mit gekünstelter Scheu an das Geländer. Ihre Augen glühten vor Sensationsgier. Wahrscheinlich wäre sie dem Hauptmann auf seiner Suche am liebsten gefolgt, doch soviel Unverfrorenheit besaß nicht einmal sie. Schweigend wie alle anderen sah sie ihm nach.
John und Elizabeth hatten sich bei ihrem unauffälligen, stillen Rückzugsmanöver inzwischen bis zu einer Seitentür geschoben und nutzten den Augenblick, in dem Smythe Befehle brüllend mit seinen Männern das Haus verließ, um selber rasch um die Ecke in einen angrenzenden Salon zu verschwinden. Elizabeth lehnte sich für einen Moment zitternd an die Wand. John sah sie aufmerksam an.
»Gibt es irgendwo noch eine Treppe nach oben?« fragte er.
Elizabeth nickte.
»Ja, aber ich weiß nicht genau, wo!«
»Wir suchen sie.«
Elizabeth rannte ihm nach. Er ging so schnell, daß sie ihm in dem Kleid mit der störenden Schleppe kaum folgen konnte. Sie sagte jedoch nichts, denn die Angst trieb sie vorwärts. Cynthia durfte nichts geschehen! Entsetzlich, sich vorzustellen, wie sie und Anthony durch die Reihen der Gäste von den Soldaten abgeführt wurden, um dann in einem der grauenhaften, überfüllten, verwahrlosten Londoner Gefängnisse zu landen! Nein, John mußte das unter allen Umständen verhindern. Wie unheimlich war es, durch die ausgestorbenen, buntgeschmückten Säle zu eilen, in denen sich noch vor wenigen Minuten die Menschen gedrängt hatten. Nichts war mehr zu hören als ihrer beider Schritte und das schleifende Geräusch von Elizabeths Kleid.
Sie hätte später nicht zu sagen gewußt, wie viele Räume sie durchquert hatten, als sie endlich an einer mit roten Läufern belegten Treppe ankamen, die John ohne zu zögern hinauflief. Elizabeth hatte große Angst, Willoughby oder
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