Verbotener Kuss
zur Tür, blieb dort stehen und lauschte. Kein Laut. Ich warf einen Blick auf die Glastüren, die auf die Veranda hinausführten, aber ich konnte unmöglich weglaufen. Ich musste Caleb finden… falls er noch am Leben war.
An diesen Gedanken klammerte ich mich. Er musste am Leben sein. Etwas anderes war gar nicht möglich.
Meinen Revolver hatte man mir natürlich abgenommen, und Caleb hatte meinen Dolch. In diesem Raum befand sich kein Gegenstand, den ich als Waffe benutzen konnte. Wenn ich die Möbelstücke zerbrach, zog ich nur unliebsame Aufmerksamkeit auf mich, und nichts ließ sich in eine wirksame Waffe verwandeln. Alles, was aus Titan hätte bestehen können, war entfernt worden.
Ich versuchte es an der Tür und stellte fest, dass sie nicht abgeschlossen war. Vorsichtig schob ich sie auf und sah mich um. Draußen ging die Sonne auf und zerstreute die Schatten im Wohnbereich und in der Küche. In der Mitte des Raums befand sich ein großer runder Tisch, umgeben von sechs passenden Stühlen. Zwei davon waren vom Tisch abgerückt, als hätte jemand darauf gesessen. Auf dem mit Schnitzereien geschmückten Eichentisch standen mehrere leere Bierflaschen. Daimonen tranken Bier? Ich hatte keine Ahnung. Ich entdeckte auch zwei elegante große Sofas, die mit teurem braunem Stoff bezogen waren.
Auf der anderen Seite des Raums lief ein Fernseher mit ausgestelltem Ton– eines dieser großen Flachbildgeräte, die an der Wand befestigt waren. Ich trat an den Tisch und ergriff eine Bierflasche. Damit konnte ich zwar keinen Daimon töten, aber wenigstens hatte ich so etwas wie eine Waffe.
Ein unterdrückter Schrei lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen der Räume im hinteren Teil des Hauses. Wenn ich mich recht erinnerte, lagen dort zwei Zimmer, ein weiterer Wohnbereich und ein Spielzimmer. Alle Türen waren geschlossen. Ich schlich näher und erstarrte, als das Geräusch wieder zu hören war. Es drang aus dem Elternschlafzimmer.
Ich umklammerte die Flasche und murmelte ein Gebet. Ich war mir nicht sicher, zu welchem Gott ich betete, aber ich hoffte inständig, dass einer von ihnen antworten würde. Dann trat ich die Tür ein. Die Angeln gaben knarrend nach, und das Holz rings um den Türknauf zersplitterte. Die Tür schwang auf.
Angesichts der albtraumhaften Szene, die sich mir bot, stockte mir der Atem. Caleb war an das Bett gefesselt. Über ihm hockte ein blonder Daimon, der ihm mit den Händen grob den Mund zuhielt und ihn niederdrückte, während er an Calebs Arm saugte. Die Geräusche, mit denen der Daimon das Blut trank, um an den Äther zu gelangen, waren grauenerregend.
Vor Zorn schrie ich laut auf, der Daimon hörte mich und hob den Kopf. Doch sein leerer Blick ging vollkommen durch mich hindurch. Von der Tür aus sprang ich ihn an, die Flasche hoch erhoben. Sie würde ihn nicht töten, ihm aber Schmerzen zufügen.
So weit sollte es allerdings nicht kommen.
Ich war so beschäftigt damit, was der Daimon Caleb antat, dass ich den Raum nicht überprüft hatte. Wie dumm. Aber verdammt, genau so etwas hatte ich im Unterricht verpasst, als ich den Covenant verlassen hatte. Ich hatte nur das Handeln und Kämpfen gelernt. Nicht das Denken.
Jemand packte mich von hinten. Mein Arm wurde umgedreht, bis ich die Bierflasche zu Boden fallen ließ. Das Bild von den beiden vom Tisch abgerückten Stühlen blitzte vor mir auf. Warum hatte ich den Angriff nicht vorausgesehen? Kämpfen konnte ich aus dieser Haltung heraus nicht, aber ich trat um mich und versuchte mich loszureißen. Mit dem einzigen Erfolg, dass der Daimon so fest zupackte, bis es wehtat.
» Na, na. Daniel wird deinen Freund schon nicht umbringen. « Die Stimme erklang hinter meinem Ohr. » Noch nicht jedenfalls. «
Daniel lächelte und ließ dabei einer Reihe blutiger Zähne aufblitzen. Einen Sekundenbruchteil später stand er vor mir und neigte den Kopf zur Seite. Jetzt setzte der Glanz ein, der über ihm lag, und offenbarte den Gesichtsschnitt eines Reinbluts. Ohne die blutigen Rinnsale, die ihm übers Kinn tropften, wäre er sogar echt attraktiv gewesen.
Alle paar Sekunden wurde Caleb von Zuckungen heimgesucht, Nachwirkungen des Bisses, wie ich nur zu gut wusste. Auf seinen nackten Armen prangten zwei Daimonenmale. Außer mir vor Wut schrie ich den Daimon an, der vor mir stand. » Ich bringe dich um! «
Daniel lachte und wischte sich das Kinn mit dem Handrücken ab. » Und ich werde es genießen, dich zu kosten. « Er witterte an mir– buchstäblich.
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