Verbrannte Träume.
meinen Arm hielt er noch gepackt, verrenkte mir fast die Schulter. Es tat höllisch weh. Mit der freien Hand drückte er mir etwas Spitzes in den Rücken.
»Wo ist Ulli?«
zischte er.
»Du willst doch bestimmt noch ein bißchen leben. Also mach’s Maul auf.«
Wir hatten die Wand erreicht. Er drückte mich dagegen. Verbog mir den Arm nach oben, daß mir die Tränen kamen, drückte mir dieses spitze Ding in den Rücken. Ein Messer, es konnte nur ein Messer sein. Ich dachte; er bringt mich um, wenn ich ihm nicht antwortete.
»Ulli ist tot«, sagte ich. Er lachte, ein leises, schäbiges, gemeines Lachen. Gleichzeitig bohrte sich die Spitze gegen meine Haut. Sie war bereits durch den Mantel und die Bluse gedrungen. Es stach, genau unter den Rippen. Darüber vergaß ich fast den Schmerz im Arm und in der Schulter.
»Wenn ich ein bißchen fester drücke«, murmelte er,«hast du es überstanden. Von hier aus«, dabei bewegte er die Spitze. Aus dem Stechen wurde ein brennender Schmerz,«geht es schräg nach oben direkt in das kleine Herzchen.«
Er war mit seinem Gesicht in meinem Nacken, drückte mein Gesicht gegen die rauhe Wand und flüsterte:
»Jetzt erzähl mir nicht, er ist in der Nacht gestorben. Also noch mal: Wo ist Ulli?«
»Er ist wirklich tot«, sagte ich,«er war auf der Stelle tot. Die Polizei hat gesagt, ich soll jedem, der nach ihm fragt, erzählen, daß er noch lebt. Sie hoffen, der Mörder macht einen Fehler.«
»Hoffen sie«, flüsterte er nach ein paar Sekunden.
»Und was denkst du? Daß er gerade dabei ist, den Fehler zu machen?«
Ich versuchte, den Kopf zu schütteln, bekam keinen Ton mehr raus.
»Hör gut zu«, flüsterte er.
»Du bleibst hier stehen, mit dem Gesicht zur Wand, und zählst langsam bis hundert. Wenn du dich umdrehst, das sehe ich. Dann bin ich sofort wieder bei dir, und dann gnade dir Gott. Wenn du bis hundert gezählt hast, läufst du schnell nach oben, setzt dich in die nächste Bahn und fährst brav nach Hause. Und wenn du zu Hause bist, legst du alles auf den Tisch. Alles, habe ich gesagt, damit meine ich das Geld und die Pakete. Und dann verziehst du dich für ein Weilchen. Haben wir uns verstanden?«
Ich konnte nur nicken. Wenn ich den Mund aufgemacht hätte, hätte ich geschrien. Zuerst ließ er meinen Arm los. Dann nahm er das Messer weg. Ich blieb an der Wand stehen, zählte und dachte, daß ich den Verstand verloren hätte, daß es nicht wirklich passiert sein könnte. Auf einem belebten Bahnsteig, mit all den Leuten drum herum. Ein paar starrten wahrscheinlich zu mir herüber, hatten das vielleicht die ganze Zeit getan und nichts unternommen. Na ja, wenn einer ein Messer hat, da mischt man sich lieber nicht ein. Meine Schulter tat immer noch höllisch weh, die Stelle im Rücken brannte. Sie fühlte sich warm und feucht an. Hinter mir hörte ich eine Bahn einfahren. Dann fuhr sie wieder ab. Ich war noch nicht bei fünfzig, aber ich dachte, daß er weg wäre, in die Bahn eingestiegen. Da drehte ich mich um und rannte los. Es waren immer noch viele Leute auf dem Bahnsteig. Ich prallte gegen einen, er hielt mich am Arm fest. Da schrie ich. Und dann hörte ich ihn fragen:
»Hey, was ist denn los?«
Und da erkannte ich ihn erst. Was es für großartige Zufälle gibt! Der liebe, nette Lutz Assenmacher, der normalerweise in einem roten Kadett durch die Gegend fuhr. Aber genau zur rechten Zeit am richtigen Ort war, als er dringend gebraucht wurde. Als ich nichts anderes im Kopf hatte als das Schreien, das ich nicht herauslassen durfte. Es setzte sich im Hirn fest, füllte den Kopf aus. Und wenn man nichts anderes mehr hört und denkt als
»ah«, dann muß man verrückt geworden sein. Als ich gegen ihn prallte und er nach meinem Arm griff, hatte er seinen freien Arm gleichzeitig um meine Taille gelegt. So standen wir ein paar Sekunden. Er grinste mich an, ein besorgtes und unsicheres Grinsen.
»Ist der Teufel hinter Ihnen her? Oder haben Sie nur Angst, die Bahn zu verpassen?«
Das Schreien im Kopf verstummte, aber ich befürchtete, daß es zum Mund hinausschoß, wenn ich ihn aufmachte. Ich schüttelte heftig den Kopf. Lutz Assenmacher führte mich zur Seite, drückte mich auf eine der Bänke, setzte sich neben mich, legte mir den Arm um die Schultern. Fragte noch einmal:
»Was ist denn los?«
Zuerst konnte ich nicht reden, brachte kein Wort über die Lippen. Geheult habe ich, gezittert, mir die Schulter gerieben und nach einer Ewigkeit gestammelt:
»Er wollte
Weitere Kostenlose Bücher