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Verbrechen ist Vertrauenssache

Verbrechen ist Vertrauenssache

Titel: Verbrechen ist Vertrauenssache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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und die riesige freie Fläche im Zentrum des Stadions, die verhinderte, dass irgendein Störenfried Archibald zu nahe kommen konnte, ohne bemerkt und abgefangen zu werden.
    Dwayne sah sich den Geldraum an – einigermaßen gutversteckt und geschützt –, er untersuchte die transportablen Kabinen, in denen man nach der großen Predigt Rat und Zuspruch finden konnte, er nahm die nach Geschlechtern getrennten Umkleideräume in Augenschein, in denen die Chorsänger und die Engel ihre Uniformen anlegen würden (für Dwayne waren es keine Kostüme, sondern Uniformen), inspizierte die öffentlichen Toiletten und die Imbissstände, er überprüfte persönlich, ob alle Türen verschlossen waren, die verschlossen sein sollten, und öffnete alle, die offen zu sein hatten.
    Eine halbe Stunde bevor die zahlenden Besucher eingelassen werden sollten, erspähte Dwayne von hoch oben in den Zuschauerrängen Tom Carmody, der über das Kunstrasenfeld zum Umkleideraum ging, und selbst aus dieser Entfernung hatte die Haltung des Mannes etwas, das Dwaynes Aufmerksamkeit erregte. Wenn irgend etwas in seinem Verantwortungsbereich falsch war, wenn irgend jemand aus der Reihe tanzte, wenn etwas nicht an Ort und Stelle oder nicht in ordnungsgemäßem Zustand war, fiel ihm das stets sofort auf, und in diesem Augenblick bemerkte er, dass mit Tom Carmody etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Die hängenden Schultern, der ängstlich zusammengekniffene Hintern, die fatalistisch halbgeschlossenen Fäuste, die schlaff herabhängenden Arme, als er jetzt über die weite, leere Fläche ging – wenn sie bei den Marines gewesen wären, hätte Dwayne gewusst, dass diese Signale nur eins bedeuten konnten: Hier war einer, der desertieren wollte.
    Aber desertieren? Hier? Wenn es nur das wäre, wenn Tom Carmody lediglich plante, sich einen anderen Lebensunterhalt zu suchen und sein langes tristes Gesicht woanders spazierenzutragen, hätte Dwayne Thorsen ihm alles Gute gewünscht und ihm beim Packen geholfen. Aber Tom hattenicht vor, den Kreuzzug zu verlassen, jedenfalls nicht freiwillig, dessen war sich Dwayne sicher. Was wäre hier, bei William Archibalds Kreuzzug, gleichbedeutend mit Desertion?
    Dwayne folgte Carmody in den Umkleideraum und sah, wie er sein Engelskostüm an den Haken in der Wand der kleinen türlosen Kabine hängte, die ihm zugeteilt worden war. Die Tuben mit der Schminke lagen bereits auf dem schmalen weißen Plastikbord unter dem Spiegel. Das Jackett hatte er einfach auf den Boden geworfen – ein weiteres schlechtes Zeichen. »Wie geht’s, Tom?« sagte Dwayne.
    Carmody zuckte zusammen – sein Gesicht und all seine Bewegungen zeugten von schlechtem Gewissen. Weswegen? Hatte dieser Scheißkerl seinen Reporter bereits gefunden? War er verdrahtet? Lief er mit einer getarnten Kamera und einem Rekorder herum, um William Archibalds betrügerische Machenschaften zu dokumentieren? Einen Augenblick lang erwog Dwayne, Tom an Ort und Stelle zu durchsuchen, musste sich jedoch, wenn auch widerwillig, eingestehen, dass das ein großer Fehler wäre, sollte sich erweisen, dass er voreilig gehandelt hatte und Tom Carmody seinen Verrat, ganz gleich, welche Form er nun annehmen würde, noch plante.
    Der Scheißkerl kann mir nicht mal in die Augen sehen, dachte Dwayne, als Carmody sagte: »Oh, hallo, Dwayne« und unnötig lange in seiner Stofftasche nach der Kleiderbürste kramte.
    Dwayne stand in der Tür der Kabine und sah zu, wie Carmody zu fest und zu lange seine Robe abbürstete. Ohne es zu merken, sagte er den gleichen Satz, den die Berater in ein paar Stunden in ganz ähnlichen Kabinen sagen würden: »Gibt’s was, über das Sie mit mir reden wollen, Tom?«
    »Was? Nein, Dwayne, alles in Ordnung.«
    Ängstlicher Blick, schlaffer Mund, defensiv nach vorngekrümmte Schultern. Dich werde ich gut im Auge behalten, mein Lieber, dachte Dwayne. »Na ja, wenn mal was ist, Tom«, sagte er und gab sich alle Mühe, so etwas wie Wärme in seine Stimme zu legen, was ihm noch schlechter gelang, als er dachte, »dann möchte ich, dass Sie mich als jemand betrachten, auf den Sie sich verlassen können, dem Sie vertrauen können. Als einen Freund.« Das Wort war äußerst ungewohnt, aber er brachte es alles in allem ganz gut über die Lippen.
    Ein panisches Lächeln flackerte wie ein fernes Wetterleuchten auf Carmodys bleichem, verschwitztem Gesicht. »Ich weiß das zu schätzen, Dwayne«, sagte er. »Danke, dass Sie … dass Sie sich Gedanken über mich

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