Verbrechen ist Vertrauenssache
Branche. Mach ihm nicht angst.«
Parker sah wieder hinaus zu der Schlucht, und Liss scheuchte Quindero hinaus aus dem Raum.
Es herrschte beinahe fünf Minuten Schweigen. An die Wand gelehnt und ganz ruhig saßen sie im rechten Winkel zueinander da, und keiner schien den anderen anzusehen. Dann sagte Parker: »Wofür brauchst du ihn eigentlich, George? Außer zum Pizzaholen?«
»Damit ich einen hab, den ich vom Schlitten werfen kann«, sagte Liss.
SECHS
Es war unnatürlich, so dazusitzen. Parker hätte Liss am liebsten umgebracht und wusste, dass es Liss umgekehrt genauso ging, doch beide konnten es nicht. Liss konnte Parker nicht umbringen, weil der die einzige Verbindung zu den Seesäcken voller Geld war, und Parker konnte Liss nicht umbringen, weil der die Pistole hatte.
Wenn es dunkel ist, dachte Parker. Wenn es dunkel ist, wird sich eine Chance bieten.
Draußen verging der Nachmittag. Die sonnigen Streifen wurden heller und schmaler, während die Schatten immer dunkler wurden. Die Felsen und das dichte Unterholz dort draußen würden bald voller scheuer kleiner Tiere mit sprunghaften Bewegungen sein, die sich in diesem Gewirr von Zweigen und Ranken verbargen und nur dank ihrer wachen Sinne überlebten. Auch für sie würde die Dunkelheit gut sein.
Thorsens Pistole schimmerte bleich auf dem dunklen Boden vor der Kiste, auf der Quindero gesessen hatte. Keiner von beiden sah sie an, doch beide wussten genau, wo sie lag. Parker blickte aus dem Fenster auf die Steilwand und sah, wie das Licht sich veränderte. Liss schien nirgendwo hinzusehen.
Quindero blieb fast eine Stunde fort, und als er zurückkehrte, war er noch aufgeregter als zuvor. Er hatte eine braune Papiertüte mit Henkeln in der Hand, und als er hereinkam, sagte er: »Mein Foto ist in der Zeitung.«
Sie sahen ihn an. »Und ist es ein gutes Foto?« fragte Liss. »Gefällt es dir?«
»Gib mir die Zeitung«, sagte Parker und streckte die Hand aus.
Quindero zögerte und wusste nicht, was er tun sollte. Er sah erst Parker und dann Liss an.
Liss zeigte ihm sein Halbgrinsen. »Du hast dir eine Zeitung gekauft, Ralph? Damit du den Artikel ausschneiden und in dein Album kleben kannst? Nur zu, lass Parker ihn lesen.«
Quindero stellte die Tüte ab, kramte darin, zog die Zeitung hervor und reichte sie Parker. Dann trug er die Tüte zu Liss, damit der das Essen aufteilte.
Es war die einzige örtliche Tageszeitung. Viele Anzeigen, viele von Nachrichtenagenturen übernommene Artikel und kaum genug eigene Reporter, um über all die Überfälle, Morde, Explosionen und Fluchten zu berichten, die sich anscheinend alle auf einmal ereignet hatten. Unter der Schlagzeile
ZEUGE IM KRANKENHAUS ERMORDET
Unzureichende Bewachung – Mörder kann entkommen
standen ein aufgeregter Bericht über den Vorfall im Krankenhaus sowie eine kurze Zusammenfassung des Überfalls im Stadion und diverse selbstsichere Verlautbarungen der Polizei.
Drei Fotos, alle gleich groß und gleich prominent, prangten nebeneinander zwischen Aufmacher und Artikel und zeigten, von links nach rechts, den Polizeichef, Tom Carmody und Ralph Quindero. Es hätte den Zeitungsleuten nicht besser gelingen können, die allgemeine Aufmerksamkeit von Quinderos Aussehen abzulenken, wenn sie gar kein Foto von ihm gebracht hätten.
Es war ein Schwarzweißbild, ein Ausschnitt aus einem Familienfoto,und zeigte ihn im hellen Sonnenlicht, lächelnd und die Augen zusammenkneifend, beides etwas, was er für eine Weile wohl kaum tun würde. Parker betrachtete das Foto und dann Quindero. Er hatte das Gefühl, das Jüngelchen könnte durch die Redaktionsräume der Zeitung spazieren, ohne dass ihn jemand erkennen würde.
Quindero hockte sich neben Liss und zerriss die Papiertüte in unregelmäßig große Fetzen, um sie als Teller zu benutzen. Auf einem davon brachte er Parker zwei Stücke Pizza und eine Dose Mineralwasser. Eine Flasche wäre besser gewesen, aber das spielte keine Rolle.
Es wurde dunkler hier drinnen, so dass die Schrift nicht mehr gut zu erkennen war, aber als alle versorgt waren und Quindero wieder auf seinem Platz an der rechten Wand saß und Pizza kaute, hielt Parker die Zeitung schräg ins letzte Licht, das durch die Fenster fiel, und las vor: »Walter Malloy, der Anwalt der Familie Quindero, wandte sich heute morgen mit einem Appell an den flüchtigen Ralph Quindero, sich der Polizei zu stellen. ›Es gibt keine schwerwiegenden Vorwürfe gegen meinen Mandanten. Im Augenblick will die
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