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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Hausknechte wollten damals nicht hingehen, darum ging ich selbst hin.«
    »Heute?«
    »Ein Weilchen vor Ihnen war ich dort. Und ich hörte alles, wie er Sie quälte.«
    »Wo? Was? Wann?«
    »Gleich nebenan, hinter dem Verschlag habe ich die ganze Zeit gesessen.«
    »Wie? Also waren Sie die Überraschung? Wie ist es nur möglich? Ich bitte Sie!«
    »Als ich sah,« begann der Kleinbürger, »daß die Hausknechte auf meine Worte hin nicht hingehen wollten, weil es, wie sie sagten, spät sei und er vielleicht auch böse werden könnte, daß sie um eine solche Stunde gekommen sind, ärgerte ich mich und konnte nicht mehr schlafen und begann mich zu erkundigen. Und nachdem ich mich gestern erkundigt hatte, ging ich heute hin. Wie ich zum erstenmal kam, war er nicht da; eine Stunde später – ließ man mich nicht vor, und wie ich zum drittenmal kam, da empfing er mich. Ich fing an, ihm alles zu erzählen, und er fing an, im Zimmer hin und her zu rennen und sich mit der Faust vor die Brust zu schlagen. ›Was macht ihr mit mir,‹ sagte er, ›ihr Räuber? Hätte ich das gewußt, so würde ich ihn durch die Polizei geholt haben!‹ Dann lief er hinaus, rief einen anderen herbei und redete mit ihm in einer Ecke, und dann wandte er sich wieder an mich, und fing an, mich auszufragen und zu schimpfen. Er machte mir viele Vorwürfe; ich aber berichtete ihm alles und sagte, daß Sie mir auf meine gestrigen Worte nichts zu antworten wagten und daß Sie mich nicht wiedererkannt hätten. Und er fing wieder an, hin und her zu laufen und sich mit der Faust vor die Brust zu schlagen und zu wüten; als man aber Sie anmeldete, sagte er mir: ›Geh hinter den Verschlag, sitze da und rühr dich nicht, was du auch hörst!‹ Und er brachte mir auch einen Stuhl hin und schloß mich ein; ›vielleicht werde ich dich noch brauchen‹, sagte er mir. Als man aber den Nikolai brachte, ließ er mich gleich nach Ihnen heraus und sagte: ›Ich werde dich noch mal vorladen und werde dich noch verhören ...‹«
    »Hat er den Nikolai in deinem Beisein verhört?«
    »Gleich nachdem er Sie herausließ, ließ er auch mich heraus und fing den Nikolai zu verhören an.«
    Der Kleinbürger hielt inne und verbeugte sich plötzlich wieder, wobei er mit dem Finger den Boden berührte.
    »Verzeihen Sie mir die Verleumdung und die Bosheit.«
    »Gott wird's verzeihen.«
    Kaum hatte er das gesagt, verneigte sich der Kleinbürger wieder tief, doch diesmal nicht bis zur Erde; dann wandte er sich langsam um und verließ das Zimmer.
    – Alles hat zwei Enden, jetzt hat alles zwei Enden! – wiederholte Raskolnikow vor sich hin und ging aus dem Zimmer, rüstiger denn je. – Jetzt wollen wir noch kämpfen! – sagte er sich mit boshaftem Lächeln, als er die Treppe hinunterging. Sein Ärger richtete sich gegen ihn selbst; mit Verachtung und Beschämung erinnerte er sich seiner »Kleinmütigkeit«.
     

Fünfter Teil
     
I
    Der Morgen, der auf die für Pjotr Petrowitsch verhängnisvolle Aussprache mit Dunjetschka und Pulcheria Alexandrowna folgte, wirkte auch auf ihn erschütternd. Zu seinem größten Leidwesen war er gezwungen, das, was ihm noch gestern als ein, wenn auch sich tatsächlich abgespielt habendes, doch beinahe phantastisches und unmögliches Ereignis erschienen war, als eine vollzogene und unwiderrufliche Tatsache anzusehen. Die schwarze Schlange der gekränkten Eitelkeit nagte die ganze Nacht an seinem Herzen. Gleich nachdem er aufgestanden war, blickte er in den Spiegel. Er fürchtete, daß ihm in der Nacht die Galle übergelaufen sei. Aber in dieser Hinsicht war vorläufig alles in Ordnung, und nachdem Pjotr Petrowitsch sein edles, weißes, in der letzten Zeit etwas verfettetes Antlitz betrachtet hatte, fand er für einen Augenblick Trost in der vollen Überzeugung, irgendwo eine andere Braut, vielleicht sogar eine bessere, finden zu können; aber er ließ diesen Gedanken sofort fallen und spuckte energisch auf die Seite, wodurch er ein stummes, doch sarkastisches Lächeln bei seinem jungen Freunde und Zimmergenossen Andrej Ssemjonowitsch Lebesjatnikow weckte. Pjotr Petrowitsch bemerkte dieses Lächeln und kreidete es sofort seinem jungen Freunde an. In der letzten Zeit hatte er ihm schon recht viel angekreidet. Seine Wut verdoppelte sich, als er plötzlich einsah, daß er Andrej Ssemjonowitsch eigentlich nichts über seine gestrigen Erfolge hätte mitzuteilen brauchen. Das war der zweite Fehler, den er gestern in der Erregung und Gereiztheit, aus

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