Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)
übermäßiger Expansivität begangen hatte. Diesen ganzen Morgen folgte wie absichtlich eine Unannehmlichkeit auf die andere. Selbst im Senat erwartete ihn ein Mißerfolg in einer Sache, um die er sich bemühte. Besonders hatte ihn der Wirt der Wohnung gereizt, die er angesichts der baldigen Heirat gemietet hatte und auf eigene Rechnung instandsetzen ließ. Dieser Wirt, ein reichgewordener deutscher Handwerker, wollte um keinen Preis von dem soeben abgeschlossenen Vertrag zurücktreten und verlangte die Bezahlung der im Vertrage vorgesehenen Entschädigung, obwohl Pjotr Petrowitsch ihm die Wohnung beinahe ganz neu instandgesetzt zurückgab. Ebenso wollte man auch im Möbelgeschäft keinen einzigen Rubel von der Anzahlung für die bereits gekauften, aber noch nicht in die Wohnung geschafften Möbel zurückzahlen.
– Ich werde doch nicht der Möbel wegen heiraten! – sagte sich Pjotr Petrowitsch, mit den Zähnen knirschend; zugleich erwachte in ihm eine neue verzweifelte Hoffnung: – Ist denn alles in der Tat so unwiderruflich verloren und erledigt? Soll ich nicht noch einmal versuchen? – Der Gedanke an Dunjetschka saß ihm wie ein Splitter im Herzen. Mit Qual ertrug er diesen Augenblick, und wenn er jetzt Raskolnikow durch einen bloßen Wunsch hätte töten können, so hätte Pjotr Petrowitsch diesen Wunsch unverzüglich ausgesprochen.
– Es war auch ein Fehler, daß ich ihnen gar kein Geld gab – dachte er, als er nun traurig in das kleine Zimmer Lebesjatnikows zurückkehrte: – Und warum bin ich, zum Teufel, so ein Jude geworden?! Es war sogar gar keine Berechnung dabei! Ich hatte die Absicht, sie in Armut zu halten und sie so weit zu bringen, daß sie mich für ihre Vorsehung halten, sie aber stellen so was an! ... Pfui! ... Nein, hätte ich während dieser ganzen Zeit beispielsweise fünfzehnhundert Rubel für die Mitgift, für Geschenke, für allerlei Schächtelchen, Necessaires, Anhängsel, Stoffe und sonstigen Kram aus dem Geschäft von Knoop oder aus dem Englischen Magazin ausgegeben, so stünde die Sache besser und ... sicherer! Dann hätten sie mir nicht so leicht absagen können! Diese Leute sind doch so, daß sie es unbedingt für ihre Pflicht gehalten hätten, mir im Falle einer Absage die Geschenke und das Geld zurückzugeben; die Rückgabe würde ihnen aber schwer fallen und leid tun! Auch das Gewissen würde ihnen zugesetzt haben: wie kann man bloß einen Menschen davonjagen, der bisher so freigebig und feinfühlend war? ... Hm! Das war ein Fehler von mir! –
Pjotr Petrowitsch knirschte noch einmal mit den Zähnen und nannte sich auf der Stelle einen Dummkopf – natürlich nur bei sich.
Nachdem er zu diesem Schlusse gekommen war, kehrte er noch doppelt so wütend und gereizt nach Hause zurück, als er fortgegangen war. Die Vorbereitungen zum Totenmahl im Zimmer Katerina Iwanownas erregten zum Teil seine Neugier. Von diesem Totenmahl hatte er schon gestern manches gehört; er glaubte sich sogar erinnern zu können, daß man auch ihn eingeladen hatte, aber bei seinen anderen Sorgen hatte er das alles überhört. Er erkundigte sich schnell bei der Frau Lippewechsel, die in Abwesenheit Katerina Iwanownas (die auf dem Friedhof war) das Tischdecken besorgte, und erfuhr, daß das Totenmahl sehr feierlich sein würde, daß fast alle Mieter, darunter auch solche, die den Verstorbenen gar nicht gekannt hatten, eingeladen seien, daß sogar Andrej Ssemjonowitsch Lebesjatnikow, trotz seines kürzlichen Streites mit Katerina Iwanowna, eingeladen sei, und schließlich, daß auch er selbst, Pjotr Petrowitsch, nicht nur eingeladen sei, sondern als der beinahe vornehmste Gast unter allen Mietern sogar mit großer Ungeduld erwartet werde. Auch Amalia Iwanowna selbst war trotz aller vorgefallenen Unannehmlichkeiten mit großer Ehre eingeladen worden, und darum wirtschaftete und bemühte sie sich jetzt fast mit Genuß: außerdem war sie festlich geputzt, obwohl in Trauer, und hatte lauter neue und seidene Sachen an, worauf sie sehr stolz war. Alle diese Tatsachen und Nachrichten brachten Pjotr Petrowitsch auf einen gewissen Gedanken, und er kehrte etwas nachdenklich in sein, das heißt Andrej Ssemjonowitsch Lebesjatnikows Zimmer zurück. Er hatte nämlich erfahren, daß unter den Eingeladenen sich auch Raskolnikow befand.
Andrej Ssemjonowitsch war diesen ganzen Morgen aus irgendeinem Grunde zu Hause. Zwischen diesem Herrn und Pjotr Petrowitsch hatten sich eigentümliche, übrigens auch natürliche
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