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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Beziehungen gebildet: Pjotr Petrowitsch verachtete und haßte ihn sogar grenzenlos, fast von dem Tage an, an dem er sich bei ihm einlogiert hatte, empfand vor ihm aber zugleich eine gewisse Angst. Er war bei ihm nach seiner Ankunft in Petersburg nicht bloß aus kleinlicher Sparsamkeit abgestiegen: obwohl dies fast der wichtigste Grund war, hatte er auch noch andere Gründe. Schon in der Provinz hatte er über Andrej Ssemjonowitsch, seinen früheren Mündel, als über einen der hervorragendsten jungen Progressisten gehört, der sogar eine bedeutende Rolle in gewissen interessanten und legendären Kreisen spiele. Dies überraschte Pjotr Petrowitsch. Alle diese mächtigen, allwissenden, alles verachtenden und alles entlarvenden Kreise flößten Pjotr Petrowitsch schon längst eine eigentümliche, wenn auch unbestimmte Angst ein. Er selbst konnte sich, besonders da er in der Provinz lebte, über diese Dinge keinerlei einigermaßen genauen Begriff machen. Er hatte wie die anderen gehört, daß es besonders in Petersburg allerlei Progressisten, Nihilisten, Entlarver und dergleichen gäbe, aber er übertrieb und verdrehte gleich vielen anderen den Sinn und die Bedeutung dieser Benennungen ins Unsinnige. Am meisten fürchtete er seit einigen Jahren Entlarvungen , und dies war der Hauptgrund seiner ständigen, übertriebenen Unruhe, die er besonders bei dem Gedanken, seine Tätigkeit nach Petersburg zu verlegen, empfand. In dieser Beziehung war er sozusagen eingeschüchtert , wie es zuweilen kleine Kinder sind. Vor einigen Jahren, in der Provinz, als er eben seine Karriere begann, erlebte er zwei Fälle, wo die Tätigkeit sehr hochstehender Gouvernementsbeamten, an die er sich bis dahin geklammert hatte und die ihn protegierten, aufs grausamste entlarvt wurde. Der eine Fall endete für den Entlarvten mit einem besonderen Skandal, und auch der zweite hätte beinahe ein recht schlimmes Ende genommen. Aus diesem Grunde hatte sich Pjotr Petrowitsch vorgenommen, gleich nach seiner Ankunft in Petersburg festzustellen, was an den Gerüchten eigentlich sei, und nötigenfalls den Ereignissen zuvorzukommen und sich bei »unserer jungen Generation« einzuschmeicheln. In dieser Beziehung setzte er seine Hoffnungen auf Andrej Ssemjonowitsch und hatte schon gelernt, wie beim Besuche bei Raskolnikow, gewisse, anderen entlehnte Phrasen in vollendeter Form vom Stapel zu lassen ...
    Selbstverständlich hatte er in Andrej Ssemjonowitsch sehr bald einen hohlen und einfältigen unbedeutenden Menschen erkannt. Dies hatte aber ihm weder seinen Glauben genommen noch ihn ermutigt. Selbst wenn er die Überzeugung gewonnen hätte, daß alle Progressisten die gleichen Narren seien, auch dann würde er sich nicht beruhigt haben. Für alle die Lehren, Ideen und Systeme (mit denen Andrej Ssemjonowitsch sofort über ihn herfiel) hatte er eigentlich nicht das geringste Interesse. Er hatte sein eigenes Ziel. Er wollte nur so schnell wie möglich feststellen: Was hier eigentlich los sei? Ob diese Menschen einen Einfluß haben oder nicht? Ob Grund zu Befürchtungen vorliege oder nicht? Ob man ihn entlarven werde, wenn er dies oder jenes unternehmen würde, oder nicht? Und wenn man ihn entlarven würde, so, in welcher Beziehung? und was für Dinge dabei besonders kompromittierend seien? Und noch mehr als das: kann man sich nicht irgendwie an sie heranmachen und sie bei dieser Gelegenheit anführen, wenn sie in der Tat irgendeine Macht besitzen? Soll man es, oder soll man es nicht? Ob es nicht ginge, durch ihre Vermittlung etwas in seiner Karriere zu erreichen? Mit einem Wort, er hatte Hunderte von Fragen vor sich.
    Dieser Andrej Ssemjonowitsch war ein kachektischer und skrofulöser kleiner Mann, der irgendwo diente, lächerlich blond war und einen Kotelettenbart hatte, auf den er sehr stolz war. Außerdem hatte er immer Augenschmerzen. Er war ziemlich weichherzig, redete aber sehr selbstbewußt, manchmal sogar außerordentlich herausfordernd, was bei seiner kleinen Figur fast immer komisch wirkte. Bei Amalia Iwanowna zählte er zu den angesehensten Mietern, das heißt, er trank nicht und bezahlte die Miete pünktlich. Trotz dieser Eigenschaften war Andrej Ssemjonowitsch wirklich etwas dumm. Am Progreß und an »unserer jungen Generation« hing er aus bloßer Leidenschaft. Er war einer von der großen vielgestaltigen Legion hohler, kraftloser, unfertiger, doch eingebildeter Menschen, die nichts gelernt haben, sich aber an jede gangbare Modeidee hängen, um sie

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