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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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tätschelte und sie einigemal begeistert küßte. Ssonja errötete, und Katerina Iwanowna brach plötzlich in Tränen aus und sagte über sich selbst, daß sie »eine nervenschwache Närrin und viel zu aufgeregt sei, daß es Zeit sei, ein Ende zu machen, da man mit dem Imbiß fertig sei und nun den Tee trinken könnte«. In diesem Augenblick riskierte Amalia Iwanowna, die nun endgültig beleidigt war, da sie am ganzen Gespräch nicht den geringsten Anteil genommen hatte und man ihr gar nicht zuhörte, plötzlich den letzten Versuch und erkühnte sich mit unterdrückter Sehnsucht, Katerina Iwanowna eine äußerst vernünftige und tiefsinnige Bemerkung zu machen, daß man im künftigen Pensionat besonders auf die Reinheit der Wäsche der jungen Mädchen sehen müsse, und daß man »unbedingt eine ordentliche Dame haben müsse, die gut auf die Wäsche aufpaßte«; und zweitens, »daß die jungen Mädchen nicht in der Nacht heimlich Romane lesen«. Katerina Iwanowna, die tatsächlich abgespannt und sehr müde war und das Totenmahl ordentlich satt hatte, unterbrach Amalia Iwanowna sofort mit der Bemerkung, daß sie »Unsinn rede« und nichts verstünde; daß die Sorge um die Wäsche Sache der Wäschebeschließerin sei und nicht der Direktrice eines vornehmen Pensionats; was aber das Lesen von Romanen betreffe, so finde sie diese Bemerkung unanständig und müsse sie bitten, zu schweigen. Amalia Iwanowna fuhr auf und antwortete erbost, daß sie ihr »nur Gutes wünsche«, daß sie ihr »sehr viel Gutes wünsche«, von ihr aber schon lange kein Geld für die Wohnung bekommen habe. Katerina Iwanowna wies sie sofort zurecht und sagte ihr, daß sie lüge, wenn sie sage, daß sie ihr Gutes wünsche, denn sie habe sie gestern, als der Verstorbene noch auf dem Tische lag, mit der Wohnungsmiete gequält. Amalia Iwanowna entgegnete darauf mit wunderbarer Logik, daß sie »jene Damen wohl eingeladen habe, die Damen aber nicht gekommen seien, weil jene Damen feine Damen seien und zu einer unfeinen Dame nicht kommen könnten«. Katerina Iwanowna »rieb ihr unter die Nase«, daß sie als schmutziges Frauenzimmer gar nicht darüber urteilen könne, was wahre Vornehmheit sei. Amalia Iwanowna ließ sich das nicht bieten und erklärte sofort, daß ihr »Vater aus Berlin ein sehr vornehmer Mann gewesen sei, beide Hände in die Taschen gesteckt und immer so gemacht habe: puff! puff!«. Und Amalia Iwanowna sprang, um ihren Vater darzustellen, vom Stuhle auf, steckte beide Hände in die Taschen, blähte die Wangen auf und fing an, mit dem Munde unbestimmte Töne wie puff! puff! zu produzieren, unter dem lauten Lachen aller Mieter, die, im Vorgefühl einer Prügelei, Amalia Iwanowna absichtlich durch ihren Beifall ermunterten. Dies konnte aber Katerina Iwanowna nicht vertragen, und sie erklärte unverzüglich und so laut, daß alle es hörten, Amalia Iwanowna hätte vielleicht nie einen »Vater« gehabt, Amalia Iwanowna sei einfach eine betrunkene Finnin aus Petersburg und hätte sicher früher irgendwo als Köchin, vielleicht auch als etwas Schlimmeres gedient. Amalia Iwanowna wurde krebsrot und kreischte, daß Katerina Iwanowna vielleicht »gar keinen Vater gehabt habe; sie hätte aber einen Vater aus Berlin gehabt, und dieser habe einen langen Rock getragen und immer puff, puff, puff! gemacht«. Katerina Iwanowna entgegnete mit Verachtung, daß ihre Abstammung doch allen bekannt sei und daß es in ihrem Attest mit gedruckten Buchstaben stehe, daß ihr Vater Oberst gewesen sei; der Vater Amalia Iwanownas (wenn sie überhaupt einen Vater gehabt habe), sei sicher ein Petersburger Finne gewesen und habe mit Milch hausiert; wahrscheinlich hätte sie aber überhaupt keinen Vater gehabt, da es noch immer nicht feststehe, wie Amalia Iwanowna mit ihrem Vatersnamen heiße: Iwanowna oder Ludwigowna? Amalia Iwanowna geriet nun in höchste Wut, schlug mit der Faust auf den Tisch und begann zu kreischen, daß ihr Vater »Johann geheißen habe und Bürgermeister gewesen sei«, der Vater Katerina Iwanownas aber »niemals Bürgermeister gewesen sei«. Katerina Iwanowna erhob sich von ihrem Stuhl und bemerkte ernst und mit scheinbar ruhiger Stimme (obwohl sie ganz bleich war und ihre Brust sich mächtig hob und senkte), daß, wenn sie sich noch einmal unterstehen werde, »ihren lumpigen Vater mit ihrem Papa auf die gleiche Stufe zu stellen, sie ihr die Haube vom Kopfe herunterreißen und mit den Füßen zertreten werde«. Als Amalia Iwanowna es hörte, begann

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