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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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das Blut schweigend Raskolnikow, holte kaum etwas Atem und fing sofort wieder an, ihm mit außerordentlicher Begeisterung zuzuflüstern, während sich an ihren Wangen rote Flecke zeigten:
    »Sehen Sie, ich hatte ihr den, man kann wohl sagen, schwierigen Auftrag gegeben, jene Dame und ihre Tochter einzuladen, Sie verstehen doch, wen ich meine? Hier hätte sie in der delikatesten Weise, auf eine diplomatische Manier vorgehen müssen; sie machte es aber so, daß diese zugereiste dumme Gans, diese aufgeblasene Kreatur, diese Null aus der Provinz nur aus dem Grunde, weil sie eine Majorswitwe ist und hergekommen ist, um sich um eine Pension zu bemühen und sich bei den Behörden die Stiefel abläuft, weil sie sich mit ihren fünfundfünfzig Jahren schminkt und färbt (das weiß man ja) ... und eine solche Kreatur hat es nicht nur nicht für nötig befunden, zu erscheinen, sondern sich nicht einmal entschuldigen lassen, daß sie nicht kommen konnte, wie es in solchen Fällen die gewöhnlichste Höflichkeit verlangt! Ich kann gar nicht verstehen, warum auch Pjotr Petrowitsch nicht gekommen ist! Wo ist aber Ssonja? Wo ist sie hingegangen? Ah, da ist sie endlich! Ssonja, wo bist du gewesen? Es ist doch sonderbar, daß du selbst bei der Leichenfeier deines Vaters so unpünktlich bist. Rodion Romanowitsch, lassen Sie sie sich neben Sie setzen. Da ist ein Platz, Ssonjetschka ... nimm dir, was du willst. Nimm dir von der Fischsülze, die ist besser. Gleich bringt man Pfannkuchen. Hat man den Kindern etwas gegeben? Poljetschka, habt ihr dort von allem? Kchi-kchi-kchi! Nun, gut. Sei ein braves Kind, Lenja, und du, Kolja, strampele nicht mit den Beinen; sitz so, wie ein vornehmes Kind sitzen muß. Was sagst du, Ssonjetschka?«
    Ssonja beeilte sich, ihr sofort die Entschuldigung Pjotr Petrowitschs zu übermitteln, und bemühte sich, recht laut zu sprechen, damit es alle hörten; dabei gebrauchte sie ausgewählt ehrerbietige Ausdrücke, die sie absichtlich Pjotr Petrowitsch zuschrieb und ausschmückte. Sie fügte hinzu, daß Pjotr Petrowitsch sie ganz besonders gebeten habe, mitzuteilen, daß er, sobald es ihm nur möglich sei, sofort herkommen werde, um mit ihr unter vier Augen von Geschäften zu sprechen und zu vereinbaren, was sich in der Zukunft tun und unternehmen ließe, und dergleichen.
    Ssonja wußte, daß dies Katerina Iwanowna versöhnlicher stimmen und beruhigen würde, daß es ihr schmeicheln und vor allem ihren Stolz befriedigen würde. Sie setzte sich neben Raskolnikow, den sie hastig begrüßte und flüchtig, mit Interesse ansah. Später aber vermied sie es, ihn anzusehen und mit ihm zu sprechen. Sie schien sogar etwas zerstreut, obwohl sie die ganze Zeit keinen Blick von Katerina Iwanowna wandte, um ihr jeden Wunsch vom Gesicht abzulesen. Aus Ermangelung anderer Kleider war weder sie noch Katerina Iwanowna in Trauer; Ssonja hatte ein dunkelbraunes Kleid an und Katerina Iwanowna ihr einziges dunkles Kattunkleid mit Streifen. Die Mitteilung über Pjotr Petrowitsch machte den beabsichtigten Effekt. Katerina Iwanowna hörte Ssonja mit Würde an und erkundigte sich dann mit der gleichen Würde, wie das Befinden Pjotr Petrowitschs sei. Dann flüsterte sie Raskolnikow recht laut zu, daß es für einen so angesehenen und soliden Menschen wie Pjotr Petrowitsch doch sonderbar wäre, in eine so »ungewöhnliche Gesellschaft« zu geraten, wie groß auch seine Anhänglichkeit an ihre Familie und die alte Freundschaft mit ihrem Papa auch seien.
    »Darum bin ich Ihnen, Rodion Romanowitsch, so verbunden, daß Sie auch in dieser Umgebung mein Salz und Brot nicht verschmäht haben«, fügte sie fast laut hinzu. »Ich bin übrigens überzeugt, daß nur Ihre besondere Freundschaft zu meinem armen Verstorbenen Sie dazu bewogen hat, Ihr Wort zu halten.«
    Dann musterte sie noch einmal stolz und selbstbewußt alle ihre Gäste und erkundigte sich plötzlich sehr laut und mit besonderem Interesse beim tauben Greis, »ob er keinen Braten wünsche und ob er schon Lissaboner bekommen hätte«. Der Greis antwortete nicht und konnte lange nicht verstehen, was man ihn fragte, obwohl seine Nachbarn ihn spaßhalber aufzurütteln begannen. Er blickte nur mit offenem Munde um sich, wodurch er die allgemeine Heiterkeit noch vergrößerte.
    »Ist das ein Esel! Sehen Sie nur, sehen Sie nur! Wozu hat man ihn hergebracht? Was aber Pjotr Petrowitsch betrifft, so war ich seiner stets sicher«, fuhr Katerina Iwanowna fort, sich an Raskolnikow wendend.

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