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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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vorhin verstanden?«
    Ihr Gesicht zeigte einen schmerzvollen Ausdruck.
    »Sprechen Sie nur mit mir nicht so wie gestern!« unterbrach sie ihn. »Bitte, fangen Sie gar nicht an. Ich hab' auch so genügend Qual ...«
    Sie beeilte sich zu lächeln, da sie fürchtete, daß der Vorwurf ihm vielleicht mißfallen würde.
    »Ich bin dummerweise weggegangen. Was ist jetzt dort los? Ich wollte eben wieder hingehen, dachte aber immer, daß ... Sie kommen würden.«
    Er erzählte ihr, daß Amalia Iwanowna die Ihrigen aus der Wohnung jage und daß Katerina Iwanowna irgendwohin gelaufen sei, »um die Gerechtigkeit zu suchen«.
    »Ach, mein Gott!« fuhr Ssonja auf. »Kommen Sie schnell ...«
    Und sie ergriff ihre Mantille.
    »Ewig dasselbe!« rief Raskolnikow gereizt. »Sie haben nur sie im Sinn! Bleiben Sie mit mir.«
    »Und ... Katerina Iwanowna?«
    »Katerina Iwanowna wird Ihnen nicht entgehen, sie wird schon selbst zu Ihnen kommen, wenn sie schon aus dem Hause gelaufen ist«, fügte er mürrisch hinzu. »Wenn sie Sie nicht antrifft, werden Sie doch schuld sein ...«
    Ssonja setzte sich in qualvoller Unentschlossenheit auf einen Stuhl. Raskolnikow schwieg, blickte zu Boden und überlegte sich etwas.
    »Nehmen wir an, Luschin wollte es jetzt nicht«, begann er, ohne Ssonja anzusehen. »Wenn er es aber wollte oder wenn es in seinem Interesse wäre, hätte er Sie doch ins Zuchthaus gebracht – wenn ich und Lebesjatnikow nicht dabei gewesen wären! Wie?«
    »Ja«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Ja!« wiederholte sie zerstreut und unruhig.
    »Ich hätte ja wirklich auch nicht dabei sein können! Lebesjatnikow kam aber schon ganz zufällig dazwischen.«
    Ssonja schwieg.
    »Nun, und wenn Sie ins Zuchthaus kämen, was dann? Erinnern Sie sich noch, was ich Ihnen gestern gesagt habe?«
    Sie antwortete wieder nicht. Er wartete eine Weile.
    »Und ich dachte, Sie würden wieder schreien: ›Ach, sprechen Sie nicht davon, hören Sie auf!‹« sagte Raskolnikow und lachte, doch irgendwie unnatürlich. »Nun, Sie schweigen wieder?« fragte er nach einer Weile. »Man muß doch über etwas reden? Nun wäre es mir sehr interessant zu hören, wie Sie jetzt eine gewisse ›Frage‹, wie es Lebesjatnikow nennt, lösen würden. (Er schien etwas aus dem Konzept zu kommen.) Nein, wirklich, ich meine es ernst. Stellen Sie sich vor, Ssonja, daß Sie alle Absichten Luschins im voraus wüßten, daß Sie wüßten (das heißt ganz sicher wüßten), daß dadurch Katerina Iwanowna und die Kinder ganz zugrundegehen würden; auch Sie selbst als Draufgabe (da Sie sich selbst für nichts achten, sage ich: als Draufgabe ). Poljetschka ebenfalls ... ... weil ihr der gleiche Weg bevorsteht. Nun also: Wenn es jetzt nur von Ihrer Entscheidung abhinge, ob er oder Sie leben sollen, das heißt, ob Luschin leben und seine Gemeinheiten weiter begehen soll, oder Katerina Iwanowna sterben soll – wie würden Sie entscheiden: wer von ihnen soll sterben? Ich frage Sie!«
    Ssonja sah ihn unruhig an. Sie glaubte in seiner unsicheren, weit ausholenden Rede etwas zu hören.
    »Ich wußte schon vorher, daß Sie mich etwas Ähnliches fragen würden«, sagte sie und sah ihn forschend an.
    »Gut, meinetwegen. Aber wie soll man diese Frage entscheiden?«
    »Warum fragen Sie etwas, was unmöglich zu beantworten ist?« sagte Ssonja mit Widerwillen.
    »Es ist also besser, wenn Luschin am Leben bleibt und seine Gemeinheiten weiter treibt! Sie wagen nicht mal, dieses zu entscheiden!«
    »Ich kann ja nicht Gottes Vorsehung kennen ... Und warum fragen Sie mich, was man nicht fragen darf? Wozu solche dummen Fragen? Wie wäre es möglich, daß dies von meiner Entscheidung abhinge? Und wer hat mich zum Richter bestellt, um zu entscheiden, wer leben und wer sterben soll?«
    »Sobald die Vorsehung Gottes mit im Spiele ist, ist nichts zu machen«, brummte Raskolnikow mürrisch.
    »Sagen Sie lieber einfach, was Sie wollen!« rief Ssonja gequält. »Sie haben wieder etwas im Sinn ... Sind Sie denn nur dazu gekommen, um mich zu quälen?«
    Sie hielt es nicht aus und fing plötzlich zu weinen an. Finster und schwermütig sah er sie an. So vergingen an die zehn Minuten.
    »Du hast ja recht, Ssonja«, sagte er schließlich leise.
    Er war plötzlich wie verändert. Der gekünstelte freche und kraftlos herausfordernde Ton war verschwunden. Selbst seine Stimme wurde auf einmal schwach.
    »Ich habe dir gestern doch selbst gesagt, daß ich nicht dazu kommen werde, um Verzeihung zu bitten, und doch hätte

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