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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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ich beinahe damit angefangen ... Das über Luschin und die Vorsehung sagte ich nur für mich selbst ... Ich bat damit um Verzeihung, Ssonja ...«
    Er wollte schon lächeln, aber das blasse Lächeln blieb kraftlos und unfertig. Er neigte den Kopf und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
    Plötzlich durchzuckte das unerwartete Gefühl eines giftigen Hasses gegen Ssonja sein Herz. Über dieses Gefühl gleichsam selbst erstaunt und erschrocken, hob er plötzlich den Kopf und sah sie aufmerksam an; er begegnete aber ihrem unruhigen und schmerzvoll besorgten Blick; es war Liebe darin: und sein Haß verschwand wie ein Gespenst. Es war etwas anderes; er hatte sein Gefühl für ein anderes gehalten. Es bedeutete nur, daß jener Augenblick gekommen war.
    Er bedeckte wieder das Gesicht mit den Händen und beugte den Kopf. Plötzlich erbleichte er, erhob sich vom Stuhl, sah Ssonja an und setzte sich, ohne ein Wort zu sagen, mechanisch auf ihr Bett hinüber.
    Dieser Moment glich für seine Empfindung so furchtbar jenem, als er schon hinter der Alten stand, das Beil aus der Schlinge herausgeholt hatte und fühlte, daß er keinen Augenblick länger verlieren dürfe.
    »Was ist mit Ihnen?« fragte Ssonja, furchtbar erschrocken.
    Er konnte kein Wort hervorbringen. Er hatte sich das Geständnis ganz anders vorgestellt und verstand gar nicht, was jetzt mit ihm vorging. Sie ging leise auf ihn zu, setzte sich neben ihn aufs Bett und wartete, ohne den Blick von ihm zu wenden. Ihr Herz klopfte und stockte. Es wurde unerträglich; er wandte ihr sein totenblasses Gesicht zu; seine Lippen zuckten ohnmächtig und bemühten sich, etwas zu sagen. Ein Grauen durchfuhr Ssonjas Herz.
    »Was ist mit Ihnen?« wiederholte sie, vor ihm etwas zurückweichend.
    »Nichts, Ssonja. Fürchte dich nicht ... Unsinn! Wirklich, wenn ich es so überlege, so ist es Unsinn«, murmelte er wie ein Besinnungsloser im Fieber. »Warum bin ich bloß hergekommen, um dich zu quälen?« fügte er plötzlich hinzu und sah sie an. »Wirklich, wozu? Ich lege mir immer diese Frage vor, Ssonja ...«
    Vielleicht hatte er sich diese Frage wirklich vor einer Viertelstunde vorgelegt, jetzt sagte er es aber in voller Ohnmacht, kaum sich selber bewußt und am ganzen Körper zitternd.
    »Ach, wie Sie sich quälen!« sagte sie mit Schmerz und sah ihn aufmerksam an.
    »Alles ist Unsinn! ... Hör mal, Ssonja (er lächelte plötzlich aus unbekanntem Grunde bleich und kraftlos, es dauerte an die zwei Sekunden), – weißt du noch, was ich dir gestern sagen wollte?«
    Ssonja wartete voll Unruhe.
    »Ich sagte beim Weggehen, daß ich mich von dir vielleicht für immer verabschiede, aber wenn ich heute käme, so würde ich dir sagen ... wer Lisaweta ermordet hat.«
    Sie erbebte plötzlich am ganzen Körper.
    »Nun bin ich gekommen, um es dir zu sagen.«
    »Sie haben es also gestern im Ernst ...« flüsterte sie mühevoll. – »Woher wissen Sie es denn?« fragte sie plötzlich scheu, als wäre sie zur Besinnung gekommen.
    Ssonja fing an, schwer zu atmen. Ihr Gesicht wurde immer blasser und blasser.
    »Ich weiß es.«
    Sie schwieg eine Weile.
    »Hat man ihn vielleicht gefunden?« fragte sie scheu.
    »Nein, man hat ihn nicht gefunden.«
    »Woher wissen Sie es dann?« fragte sie wieder kaum hörbar und wieder nach einem längeren Schweigen.
    Er wandte sich zu ihr um und sah sie sehr aufmerksam an.
    »Rate einmal«, sagte er mit seinem früheren verzerrten und ohnmächtigen Lächeln.
    Ihr ganzer Körper erzitterte wie im Krampf.
    »Sie ... machen ... was machen Sie mir solche Angst?« sagte sie und lächelte wie ein Kind.
    »Also bin ich wohl mit ihm gut befreundet ... wenn ich es weiß«, fuhr Raskolnikow fort, ihr immer unverwandt ins Gesicht blickend, als hätte er nicht die Kraft, die Augen von ihr zu wenden. »Er hat diese Lisaweta ... nicht ermorden wollen ... Er hat sie ... zufällig ermordet ... Er wollte die Alte ermorden ... als sie allein war ... und war gekommen ... Da trat aber Lisaweta ein ... Und da ermordete er sie.«
    Es verging wieder eine schreckliche Minute. Sie sahen einander noch immer an.
    »Du kannst es also nicht erraten?« fragte er plötzlich mit einem Gefühl, als stürzte er sich von einem Glockenturm hinab.
    »N-nein«, flüsterte Ssonja kaum hörbar.
    »Sieh mal mich ordentlich an.«
    Und kaum hatte er das gesagt, als eine ihm schon bekannte frühere Empfindung sein Herz erstarren ließ: er sah sie an und glaubte plötzlich in ihrem Gesicht das Gesicht Lisawetas zu

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