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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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erkennen. Er hatte sich Lisawetas Gesichtsausdruck so grell eingeprägt, als er damals mit dem Beil auf sie losging und sie vor ihm zur Wand zurückwich, die Hand vorgestreckt, mit einer völlig kindlichen Angst im Gesicht, ganz wie ein kleines Kind, das plötzlich vor etwas erschrickt, unbeweglich und unruhig den ihn erschreckenden Gegenstand anstarrt, dann zurückweicht, das Händchen vorstreckt und sich anschickt, zu weinen. Fast dasselbe war jetzt mit Ssonja; ebenso kraftlos, mit dem gleichen Schrecken sah sie ihn eine Weile an, streckte plötzlich die linke Hand vor, stieß ihn ganz leicht mit den Fingern vor die Brust und fing an, sich langsam vom Bette zu erheben, immer mehr und mehr zurückweichend, während ihr Blick immer starrer wurde. Ihr Entsetzen teilte sich gleichsam auch ihm mit: auch sein Gesicht zeigte die gleiche Angst, er begann sie ebenso anzusehen, fast mit demselben kindlichen Lächeln.
    »Hast du es erraten?« flüsterte er plötzlich.
    »O Gott!« entrang sich ein furchtbarer Schrei ihrer Brust.
    Kraftlos fiel sie aufs Bett, mit dem Gesicht auf das Kissen. Doch nach einem Augenblick erhob sie sich wieder, rückte schnell zu ihm heran, ergriff seine beiden Hände, preßte sie wie in einem Schraubstock mit ihren feinen Fingern zusammen und begann ihm wieder unbeweglich und unverwandt ins Gesicht zu schauen. Mit diesem letzten verzweifelten Blick wollte sie die leiseste, letzte Hoffnung für sich entdecken und erspähen. Aber es war keine Hoffnung; es blieb auch kein Zweifel: alles war so ! Sogar viel später, wenn sie sich auf diesen Augenblick besann, kam es ihr so seltsam und sonderbar vor: warum hatte sie damals sofort erkannt, daß es keine Zweifel mehr gab? Sie konnte doch nicht sagen, daß sie etwas dergleichen zum Beispiel vorausgeahnt hätte! Und doch kam es ihr jetzt, wo er es ihr gesagt hatte, vor, als hätte sie gerade das vorausgeahnt.
    »Genug, Ssonja, genug! Quäle mich nicht!« bat er mit schmerzlichem Ausdruck.
    Er hatte es ihr ganz, ganz anders enthüllen wollen, aber es war doch so gekommen.
    Wie außer sich, sprang sie auf und ging händeringend bis zur Mitte des Zimmers; doch sie kam schnell zurück und setzte sich wieder neben ihn, so daß sie mit ihrer Schulter beinahe die seinige berührte. Plötzlich fuhr sie, wie von einem Pfeile durchbohrt, zusammen und stürzte, ohne selbst zu wissen, warum, vor ihm in die Knie.
    »Was, was haben Sie mit sich getan!« sagte sie verzweifelt.
    Sie stand von den Knien auf, fiel ihm um den Hals, umschlang ihn und preßte ihn fest zusammen.
    Raskolnikow rückte weg und sah sie mit traurigem Lächeln an.
    »Wie sonderbar bist du, Ssonja – du umarmst und küßt mich, nachdem ich dir das gesagt habe! Du weißt selbst nicht, was du tust.«
    »Niemand, niemand ist jetzt unglücklicher als du in der ganzen Welt!« rief sie wie rasend aus, ohne seine Bemerkung gehört zu haben, und brach plötzlich in lautes, hysterisches Weinen aus.
    Ein ihm schon seit langem unbekanntes Gefühl überströmte mit einem Male seine Seele und machte sie erweichen. Er widerstrebte ihm nicht: zwei Tränen rollten ihm aus den Augen und blieben an seinen Wimpern hängen.
    »So wirst du mich nicht verlassen, Ssonja?« fragte er, sie fast mit Hoffnung anblickend.
    »Nein, nein! Niemals und nirgends!« rief Ssonja aus. »Ich gehe mit dir, ich folge dir überallhin! O Gott! ... Ach, ich Unglückliche! Warum, warum habe ich dich bisher nicht gekannt! Warum bist du nicht früher gekommen? O Gott!«
    »Nun bin ich gekommen.«
    »Jetzt erst! Ach, was soll man jetzt tun! ... Zusammen, zusammen!« wiederholte sie wie bewußtlos und umarmte ihn von neuem. »Ich gehe mit dir nach Sibirien!«
    Er zuckte plötzlich zusammen, sein früheres gehässiges und fast hochmütiges Lächeln zeigte sich wieder auf seinen Lippen.
    »Vielleicht will ich noch gar nicht nach Sibirien, Ssonja!« sagte er.
    Ssonja warf ihm einen schnellen Blick zu.
    Nach dem ersten leidenschaftlichen und qualvollen Ausbruch von Mitgefühl für den Unglücklichen wurde sie wieder von dem schrecklichen Gedanken an den Mord erschüttert. Im veränderten Ton seiner Worte erkannte sie den Mörder. Sie sah ihn mit Erstaunen an. Es war ihr noch nichts bekannt: weder warum, noch wie, noch wozu er es getan hatte. Alle diese Fragen tauchten mit einemmal in ihrem Bewußtsein auf. Und sie glaubte es wieder nicht. – Er, er soll ein Mörder sein? Ist es denn möglich?
    »Was ist denn das? Wo bin ich denn?« sagte sie in

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