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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Katerina Iwanowna, schon ohnehin halbtot, beinahe ohnmächtig und blaß, sprang vom Bette auf (auf das sie in ihrer Erschöpfung hingesunken war) und fiel über Amalia Iwanowna her. Der Kampf war aber zu ungleich; jene stieß sie wie eine leichte Feder von sich.
    »Wie! Nicht genug, daß man uns gottlos verleumdet hat, geht diese Kreatur auch noch gegen mich los! Wie! Am Tage der Beerdigung meines Mannes jagt man mich zum Dank für die genossene Gastfreundschaft mit den Waisen aus dem Hause! Wo soll ich denn hingehen?!« schrie keuchend und schluchzend die arme Frau. »Gott!« schrie sie plötzlich mit brennenden Augen: »Gibt es denn keine Gerechtigkeit? Wen willst du denn schützen, wenn nicht uns Waisen? Nun, wir wollen es sehen! Es gibt Recht und Wahrheit in der Welt, ich werde sie finden! Gleich, wart, du gottlose Kreatur! Poljetschka, bleib du bei den Kindern, ich komme gleich zurück. Wartet auf mich, meinetwegen auf der Straße! Wir wollen sehen, ob es Gerechtigkeit in der Welt gibt! ...«
    Und Katerina Iwanowna warf sich dasselbe grüne Tuch, das der verstorbene Marmeladow in seiner Erzählung erwähnt hatte, über den Kopf, drängte sich durch den unordentlichen Haufen betrunkener Mieter, die noch immer im Zimmer herumstanden, und lief weinend und schluchzend auf die Straße – mit der unbestimmten Absicht, gleich, auf der Stelle irgendwo Gerechtigkeit zu finden. Poljetschka drückte sich voller Angst mit den Kindern in die Ecke, setzte sich, die beiden Kleinsten umschlingend, auf den Koffer und fing an, am ganzen Leibe zitternd, auf die Rückkehr der Mutter zu warten. Amalia Iwanowna rannte hin und her, kreischte, lamentierte, warf alles, was ihr unter die Hände kam, auf den Boden und gebärdete sich wie rasend. Die Mieter schrien durcheinander – die einen besprachen noch, soweit sie es noch konnten, das Geschehene, die anderen zankten sich und fluchten, andere wieder stimmten Lieder an ...
    – Jetzt ist auch für mich Zeit! – dachte Raskolnikow. – Nun, Ssofja Ssemjonowna, wir wollen mal sehen, was Sie jetzt sagen werden! –
    Und er ging zu Ssonja in die Wohnung.
     

IV
     
    Raskolnikow war ein mutiger und eifriger Advokat Ssonjas gegen Luschin, obwohl er selbst so viel eigenes Leid und Grauen in der Seele trug. Da er aber am Morgen so viel gelitten hatte, war er beinahe froh, seine Eindrücke, die ihm unerträglich geworden waren, zu ändern, schon ganz abgesehen davon, wie viel Persönliches und Herzliches in seinem Streben, für Ssonja einzutreten, lag. Außerdem stand ihm noch die Zusammenkunft mit Ssonja bevor, und dieser Gedanke beunruhigte ihn in manchen Augenblicken schwer: er mußte ihr sagen, wer Lisaweta ermordet hatte, er sah die schreckliche Qual voraus und wehrte sie von sich gleichsam mit beiden Händen ab. Als er beim Verlassen der Wohnung Katerina Iwanownas ausrief: »Nun, was werden Sie jetzt sagen, Ssofja Ssemjonowna?«, befand er sich noch in einem äußerlich erregten Zustande von Mut, Kampflust, unter dem Eindrucke des eben über Luschin errungenen Sieges. Aber es kam so seltsam. Als er die Wohnung Kapernaumows erreichte, fühlte er plötzlich Ohnmacht und Angst. Nachdenklich blieb er vor der Tür stehen: »Soll ich sagen, wer Lisaweta ermordet hat?« Die Frage war sonderbar, weil er im gleichen Augenblick plötzlich fühlte, daß es ihm unmöglich war, nicht nur zu schweigen, sondern auch diesen Augenblick noch für eine kurze Weile hinauszuschieben. Er wußte noch nicht, warum es unmöglich war: er fühlte es nur, und dieses qualvolle Bewußtsein seiner Ohnmacht der Notwendigkeit gegenüber erdrückte ihn fast. Um nicht länger zu denken und sich zu quälen, machte er die Tür schnell auf und blickte von der Schwelle auf Ssonja. Sie saß, auf das Tischchen gestützt, und hielt das Gesicht mit den Händen bedeckt; als sie aber Raskolnikow sah, stand sie schnell auf und ging ihm entgegen, als hätte sie ihn erwartet.
    »Wie wäre es mir wohl ohne Sie ergangen!« sagte sie schnell, als sie ihm in der Mitte des Zimmers begegnete.
    Offenbar hatte sie ihm nur das so schnell wie möglich sagen wollen und ihn nur darum erwartet.
    Raskolnikow ging zum Tisch und setzte sich auf den Stuhl, von dem sie soeben aufgestanden war. Sie blieb zwei Schritte vor ihm stehen, genau wie gestern.
    »Nun, Ssonja?« sagte er und fühlte plötzlich, daß seine Stimme zitterte. »Das Ganze lief doch auf die ›soziale Position und die mit derselben verbundenen Angewohnheiten‹ hinaus? Haben Sie es

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