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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Haben Sie ihn sich gut gemerkt? Es war doch wie ein Donnerschlag! Wie ein Blitz aus einer Gewitterwolke, wie ein Donnerpfeil! Nun, und wie nahm ich ihn auf? Dem Donnerpfeil glaubte ich kein einziges Wort, wie Sie selbst zu sehen beliebten! Und noch mehr als das! Als Sie schon weggegangen waren und er anfing, außerordentlich vernünftig manche Punkte zu beantworten, so daß ich selbst darüber staunte, – auch dann glaubte ich ihm kein Wort! Sehen Sie, was es heißt, eine felsenfeste Grundlage zu haben! Nein, denke ich mir, Schnecken! Was hat Mikolka mit der Sache zu tun?«
    »Rasumichin hat mir soeben gesagt, daß Sie auch jetzt noch den Nikolai beschuldigen, und Sie hätten ihn selbst davon überzeugt ...«
    Sein Atem stockte, und er sprach den Satz nicht zu Ende. Er hörte in unbeschreiblicher Erregung zu, wie der Mensch, der ihn ganz durchschaut hatte, seine eigenen Worte verleugnete. Er fürchtete, daran zu glauben, und glaubte es auch nicht. In den noch doppelsinnigen Worten suchte er gierig nach etwas Bestimmterem und Endgültigem.
    »Ja, der Herr Rasumichin!« rief Porfirij Petrowitsch, als freute er sich über die Frage Raskolnikows, der die ganze Zeit geschwiegen hatte. »He-he-he! Herrn Rasumichin mußte man ausschalten: wo zwei miteinander einig sind, soll der Dritte seine Nase nicht hineinstecken. Herr Rasumichin ist nicht der richtige Mensch, auch ist er ein Außenstehender, ganz bleich kam er zu mir gelaufen ... Nun, Gott sei mit ihm, was soll ich ihn in die Sache verwickeln! Und was den Mikolka betrifft, so wissen Sie doch, was er für ein Subjekt ist, das heißt, wie ich ihn auffasse? Erstens ist er noch ein unmündiges Kind, eigentlich kein Feigling, hat aber doch etwas von einem Künstler. Wirklich, lachen Sie, bitte, nicht, daß ich ihn so darstelle. Er ist unschuldig und für alles empfänglich. Er hat ein Herz, ist ein Phantast. Er versteht zu singen und zu tanzen und soll so vorzüglich Märchen erzählen können, daß die Leute sich versammeln, um ihm zuzuhören. Er ist imstande, eine Sonntagsschule zu besuchen, zu lachen, bis er umfällt, wenn man ihm bloß den kleinen Finger zeigt, und bis zur Bewußtlosigkeit zu trinken, doch nicht aus Verdorbenheit, sondern periodisch, wenn man ihn betrunken macht, ganz wie ein Kind. Er hat ja doch gestohlen, kann es aber selbst nicht einsehen, denn er sagt: ›Wenn ich's auf der Erde gefunden habe, so ist es doch kein Diebstahl!‹ Ist Ihnen auch bekannt, daß er ein Altgläubiger ist, das heißt weniger ein Altgläubiger als ein Sektierer? Einige von seiner Familie waren bei der ›Bjeguny‹-Sekte gewesen, und er selbst hat erst vor kurzem ganze zwei Jahre auf dem Lande bei einem frommen Greis als Jünger gelebt. Das alles erfuhr ich von Mikolka selbst und auch von seinen Landsleuten aus Saraisk. Und noch mehr: er wollte sogar in die Wüste fliehen! Großen Eifer hatte er in Glaubenssachen, betete nachts zu Gott und las fortwährend in den alten ›wahren‹ Büchern, bis er fast um den Verstand kam. Petersburg hatte auf ihn einen mächtigen Eindruck gemacht, besonders das weibliche Geschlecht, auch der Schnaps. Er ist so empfänglich und hat seinen frommen Greis und alles vergessen. Es ist mir bekannt, daß ihn ein hiesiger Maler liebgewonnen hat; er besuchte ihn auch, da kam aber diese Geschichte dazwischen. Er bekam Angst und wollte sich erhängen! Durchbrennen! Was soll man tun, wenn das Volk solche Begriffe von unserer Rechtspflege hat! Gar mancher fürchtet die ›Verurteilung‹. Wer ist schuld? Wie werden sich die neuen reformierten Gerichte einführen? Ach, möge Gott das Beste geben! Nun, im Zuchthause erinnerte er sich wohl wieder des frommen Greises; auch fing er wieder an, in der Bibel zu lesen. Wissen Sie, Rodion Romanowitsch, was bei manchen dieser Leute bedeutet, ›das Leiden auf sich zu nehmen?‹ Das heißt nicht, für jemand bestimmten zu leiden; nein, man muß einfach ein Leiden auf sich nehmen, und wenn es von der Obrigkeit kommt, so ist es noch besser. Da hatte ich seinerzeit im Zuchthause ein ganzes Jahr einen sehr stillen und braven Arrestanten sitzen. Nächte lang hockte er auf dem Ofen und las die Bibel; vor lauter Lesen wurde er ganz verrückt und packte eines Tages so mir nichts dir nichts einen Ziegelstein und schmiß ihn auf den Gefängnisdirektor, ohne daß dieser ihm irgendwas getan hätte. Und wie er den Stein schleuderte: er zielte absichtlich einen ganzen Arschin vorbei, um den Mann ja nicht zu verletzen! Nun, man

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