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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Petrowitsch saß ruhig da und wartete. Raskolnikow blickte ihn plötzlich verächtlich an.
    »Sie kommen wieder mit Ihren alten Geschichten, Porfirij Petrowitsch! Immer die gleichen Kunststücke! Wird Ihnen das nicht zu dumm?«
    »Ach, hören Sie auf, was brauche ich jetzt Kunststücke? Etwas anderes wäre, wenn Zeugen dabei wären; wir sitzen aber unter vier Augen da und flüstern. Sie sehen doch selbst, daß ich nicht gekommen bin, um Sie zu hetzen und zu jagen wie einen Hasen. Ob Sie gestehen oder nicht, ist mir augenblicklich einerlei. Ich persönlich bin auch ohne Ihr Geständnis überzeugt.«
    »Wenn dem so ist, warum sind Sie dann hergekommen?« fragte Raskolnikow gereizt. »Ich richte an Sie die frühere Frage: Wenn Sie mich für schuldig halten, warum sperren Sie mich dann nicht ein?«
    »Nun, das ist mal eine vernünftige Frage! Die will ich Ihnen auch Punkt für Punkt beantworten. Erstens ist es für mich nicht vorteilhaft, Sie sofort zu verhaften.«
    »Warum ist es nicht vorteilhaft? Wenn Sie überzeugt sind, so müssen Sie doch ...«
    »Ach, was macht es, daß ich überzeugt bin? Das ist ja vorläufig nur eine Phantasie von mir. Und was soll ich Sie auch einsperren, damit Sie dort Ruhe haben? Das wissen Sie doch selbst, wenn Sie darauf so bestehen. Wenn ich zum Beispiel den Kleinbürger herbringe, damit er Sie überführt, und Sie ihm sagen: ›Bist du betrunken oder was? Wer hat mich mit dir gesehen? Ich habe dich einfach für betrunken gehalten, und du warst auch betrunken‹ – nun, was soll ich Ihnen darauf antworten, um so mehr, als Ihre Aussage viel wahrscheinlicher klingt als die seinige; denn seine Aussage beruht nur auf Psychologie, was zu seiner Fratze nicht mal paßt, während Sie das Richtige treffen: der Kerl ist ja wirklich ein Säufer und als solcher bekannt. Ich habe ja auch selbst einigemal zugegeben, daß die Psychologie zwei Enden hat und daß das zweite Ende das dickere ist und viel mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat und daß ich sonst vorläufig keine anderen Beweise gegen Sie habe. Obwohl ich Sie einmal wirklich einsperren werde und sogar selbst hergekommen bin, um Ihnen das mitzuteilen (was sonst doch gar nicht üblich ist), sage ich Ihnen ganz offen (was ja gleichfalls nicht üblich ist), daß es für mich unvorteilhaft ist. Und zweitens, bin ich darum zu Ihnen gekommen ...«
    »Ja, und zweitens?« (Raskolnikow rang noch immer um Atem.)
    »Zweitens, weil ich Ihnen, wie ich schon vorher gesagt habe, eine Erklärung schulde. Ich will nicht, daß Sie mich für einen Unmenschen halten, um so mehr als ich Ihnen aufrichtig gewogen bin, ob Sie es glauben oder nicht. Infolgedessen bin ich, drittens, mit einem offenen und direkten Vorschlag gekommen, daß Sie sich selbst anzeigen und ein Geständnis ablegen. Dies wird für Sie unendlich vorteilhafter sein, ebenso auch für mich, denn dann bin ich die Sache los. Nun, habe ich aufrichtig gesprochen oder nicht?«
    Raskolnikow dachte eine Weile nach.
    »Hören Sie mal, Porfirij Petrowitsch, Sie sagen ja selbst, daß Sie alles auf Psychologie begründen; da sind Sie aber schon bei der Mathematik angelangt. Was, wenn Sie sich irren?«
    »Nein, Rodion Romanowitsch, ich irre mich nicht. Ich habe so ein Endchen in der Hand. Dieses Endchen habe ich schon damals gefunden, Gott selbst hat es mir geschickt!«
    »Was für ein Endchen?«
    »Das will ich Ihnen nicht sagen, Rodion Romanowitsch. Auch habe ich jetzt in keinem Falle das Recht, die Sache noch hinauszuschieben; ich werde Sie einsperren. Überlegen Sie es sich selbst: mir ist es jetzt doch ganz einerlei, folglich tue ich es nur für Sie. Bei Gott, so wird es besser für Sie sein, Rodion Romanowitsch!«
    Raskolnikow lächelte gehässig.
    »Es ist doch nicht bloß lächerlich, es ist auch unverschämt. Selbst wenn ich wirklich schuldig wäre (was ich aber gar nicht sage), warum sollte ich dann Ihnen ein Geständnis ablegen, wenn Sie selbst sagen, daß ich sowieso im Zuchthause zur Ruhe komme?«
    »Ach, Rodion Romanowitsch, trauen Sie doch nicht jedem Worte; vielleicht wird es auch gar keine Ruhe sein! Das ist ja bloß eine Theorie, und dazu nur eine von mir; was bin ich aber für eine Autorität für Sie? Vielleicht verheimliche ich auch jetzt noch etwas vor Ihnen? Ich kann doch wirklich nicht alles vor Ihnen auskramen, he-he! Die zweite Frage ist: Welchen Vorteil werden Sie davon haben? Wissen Sie denn auch, was für eine Strafermäßigung Ihnen gewährt werden kann? Bedenken Sie doch, in was

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