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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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selbst: Wie sollte ich mich nach all dem Vorangegangenen nicht von dem Folgenden hinreißen lassen? Ach, mein Gott, sage ich denn überhaupt was? Behaupte ich denn was? Ich hatte es mir damals nur gemerkt. Was ist denn dabei? – fragte ich mich. Es ist nichts dabei, aber gar nichts, vielleicht sogar absolut nichts. Für mich, einen Untersuchungsrichter, ziemt es sich gar nicht, sich so hinreißen zu lassen: ich habe ja den Mikolka in Händen, und zwar mit Tatsachen, – wie Sie wollen: es sind Tatsachen! auch er kommt mit seiner Psychologie; ihm muß ich mich noch ordentlich widmen, denn bei ihm handelt es sich um Leben und Tod. Wozu ich Ihnen jetzt das alles erkläre? Damit Sie es wissen und mich nicht im Geist und im Herzen für mein damaliges boshaftes Benehmen verurteilen. Es war aber gar nicht boshaft. Ich versichere es aufrichtig, he-he! Sie glauben, ich hätte bei Ihnen keine Haussuchung abgehalten? Natürlich habe ich eine abgehalten, he-he! Es war, als Sie krank im Bettchen lagen. Nicht offiziell und nicht in eigener Person, aber ich habe eine gemacht. Bis aufs letzte Härchen wurde in Ihrer Wohnung alles durchsucht, sogar gleich nach der frischen Spur, aber – umsonst! Ich denke mir: Jetzt wird dieser Mensch kommen, wird selbst kommen, sogar sehr bald; wenn er schuldig ist, so wird er sicher kommen. Ein anderer wird nicht kommen, aber dieser wird kommen. Erinnern Sie sich noch, wie Herr Rasumichin anfing, sich zu verschnappen? Das haben wir absichtlich so gemacht, um Sie aufzuregen, darum haben wir auch das Gerücht losgelassen, damit er sich Ihnen gegenüber verschnappt, denn Herr Rasumichin ist ein Mensch, der seine Entrüstung nicht bei sich behalten kann. Dem Herrn Samjotow waren zuerst Ihr Zorn und Ihre offene Kühnheit aufgefallen; wie kann man auch so im Gasthause herausplatzen: ›Ich habe gemordet!‹ Viel zu kühn, viel zu frech, und wenn er schuldig ist, dachte ich mir, so ist er ein furchtbarer Kämpfer! Wirklich, so dachte ich mir damals. Und ich warte! Ich warte auf Sie gespannt, aber den Samjotow haben Sie damals ganz erdrückt, und ... das ist eben der Witz, daß diese ganze Psychologie zwei Enden hat! So warte ich auf Sie und sehe – Gott schickt Sie mir zu! Da stand mir das Herz still. Ach, was mußten Sie damals kommen? Ihr Lachen, Ihr Lachen, als Sie hereinkamen – können Sie sich noch erinnern? – Alles sah ich damals so klar wie durch Glas; hätte ich Sie damals nicht so besonders erwartet, so wäre mir auch in Ihrem Lachen nichts aufgefallen. Da sehn wir, was es heißt, in der rechten Stimmung zu sein. Auch Herr Rasumichin damals – ach! und der Stein, der Stein, unter dem die Sachen versteckt liegen? Mir ist es, als sehe ich ihn irgendwo in einem Gemüsefeld liegen. Sie sprachen doch zu Samjotow von einem Gemüsefeld, und dann zum zweitenmal sprachen Sie davon bei mir. Und als wir damals begannen, Ihren Aufsatz durchzunehmen, als Sie ihn zu erklären anfingen, da faßte ich jedes Ihrer Worte doppelt auf, als säße unter jedem Worte ein anderes! So kam ich, Rodion Romanowitsch, bis zur letzten Grenze, und als ich mich mit der Stirn anstieß, kam ich zum Bewußtsein. Nein, sagte ich mir, was fällt mir ein? Wenn man will, sagte ich mir, kann man das alles bis zum letzten Endchen auch im entgegengesetzten Sinne auslegen, und dann wird es sogar noch natürlicher klingen. Ich gestand mir selbst, daß es natürlicher klingen wird. Das war eine Plage! Nein, dachte ich mir, dann will ich doch lieber wenigstens ein Endchen von einer Tatsache haben! ... Als ich damals von diesem Klingeln hörte, erstarrte ich beinahe, es überlief mich kalt. Nun, denke ich mir, da hab ich so ein Endchen! Das ist es! Ich überlegte nicht mehr, ich wollte es einfach nicht. Tausend Rubel hätte ich in jedem Augenblick aus eigener Tasche hergegeben, nur um mit meinen eigenen Augen zu sehen, wie Sie an die hundert Schritte neben dem Kleinbürger hergingen, nachdem er Ihnen ›Mörder‹ ins Gesicht gesagt hatte und Sie ganze hundert Schritt lang nicht wagten, ihn etwas zu fragen! ... Nun, und das Frösteln im Rückenmark? Und dieses Klingeln im Fieber, während Ihrer Krankheit? Warum wundern Sie sich, Rodion Romanowitsch, nach alledem, daß ich mit Ihnen damals solche Scherze getrieben habe? Und warum waren Sie gerade in jenem Augenblick gekommen? Niemand hat Sie doch dazu getrieben, bei Gott, und wenn Mikolka uns damals nicht auseinandergebracht hätte, so ... und erinnern Sie sich noch an Mikolka damals?

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