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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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heute nicht zu berichten. Die Truppe hat sich in der Ferne verloren, die Frauen haben sich ausgeweint, jetzt bin ich nicht mehr die einzige Witwe. Kapf hat sich nicht einmal umgedreht, mein Zwilling ging vorn in der ersten Reihe, von oben bis unten stolz wie ein Hahn. An was er dachte, weiß ich nicht, nur dass er schon alles hinter sich hat, Schiller und mich und die zehn Geschwister, die irgendwo unter den Zuschauern stehen und den Himmel mit weißen Tüchern bewerfen, die nachher langsam zu Boden gehen. Niemand hat sich danach gebückt, die Blicke waren nach vorne gerichtet, und so blieben sie unter den Stiefeln liegen und wurden erst nass und später so schwarz wie Tinte, mit der man den Tod unterschreibt.
    Nur Kronenbitter drehte sich um, der Fourierschütz des großen und flüchtigen Schiller, der, weil sein Herr ihn verlassen hat, bei neuen Herren ein Auskommen sucht und gehen muss, wenn kein anderer kann, man weiß ja, der Herzog nimmt alles. Ratlos bleibt er im Regen stehn, beklopft verlegen die Uniform, dann bückt er sich nach dem Kartenkönig, der zwischen die Tücher gefallen ist, wischt sich flüchtig die Augen und gibt mir ein Zeichen. Vielleicht will er winken und weiß nur nicht wie, dann gibt er sich einen verzweifelten Ruck, schiebt sich den König hinters Revers und legt entschlossen die Hand an die Stirn. Nur die Stirn ist so nass, dass die Finger ihm leicht nach unten verrutschen, so dass es aus der Ferne so scheint, als ziele er auf seine Schläfe.
    Ich fahre morgen nach Stuttgart zurück. Ich werde die Fenster im Zimmer öffnen, dann werde ich neue Vorhänge nähen und mich nach gewaschenen Mietern umsehen. Der Geruch allerdings wird sich hartnäckig halten, diese Mischung aus Tinte und Pferd. Nachts werde ich durch mein Treppenhaus schleichen, knie mich hinter das Schlüsselloch und lege mein Ohr an die Tür, bis ich drinnen wieder die Stimmen vernehme, das Schreien von Kapf, Schillers kratzende Feder, Spiegelberg, Roller, Kosmsky und Schwarz und Kronenbitters freundliches Fluchen, bis er sich endlich langsam erhebt, schleppende Schritte quer durch das Zimmer, vom Ofen zum Bett, vom Bett zur Bank, von der Bank zum Fenster, vom Fenster zur Tür, alles langsam und ganz mit der Ruhe, bis er die Hand an die Klinke legt.
    Ich rühre mich nicht, ich hocke und lausche, ich halte sogar den Atem an, denn ich hänge an dieser Szenerie, wie Rittmeister Kapf am Fenster steht und Schiller das dreizehnte Stück diktiert, wie Kronenbitter die Asche sortiert und am Boden Muster aus Scherben legt. Aber wenn ich entschlossen die Tür aufstoße, damit Kronenbitter ins Freie kommt, fällt alles wieder in sich zusammen. Was bleibt, ist ein Bühnenbild ohne Stück, eine Wirtin, die keine Gäste mehr hat, ein Geisterschiff nach der Geisterstunde, auf Glockenschlag alles in Kisten gelegt. Die einzige, die nicht - schläft, das bin ich. Ich warte auf Post.

    Die erste ehrliche Post seit Wochen, ein kleiner, verregneter schmutziger Brief. Die Buchstaben wetterwendisch und schief, ein Absender, der sich selber durchkreuzt, Schillers altes Mädchen für alles, das schreiben muss, wenn kein anderer kann. Ich rieche Kronenbitter von weitem, das Unglück riecht durch den Umschlag hindurch. Dazu ein leichter Geruch von Hunger, von Branntwein und von etwas Unbekanntem, das ich nicht näher bestimmen kann. Vermutlich riecht dieser Brief nach Meer, denn das Meer ist kein Schluck aus dem fünften Becher, nur Gott weiß, wo dieses Vlissingen liegt und ob es dort einen Bopserwald gibt, in dem man so lange Theater spielt, bis sich der Wind endlich dreht.
    Von Wind keine Rede, hebe Frau Vischer, nur strömender Regen, keine Aussicht auf Fahrt. Wir schlafen in Zelten, ich gehe jetzt barfuß, zum Schreiben fehlt Licht. Das erste Paar Stiefel durchgefault, das zweite Paar unerschwinglich, der Herzog hat einen Vertrag unterschrieben, den er gar nicht gelesen hat. Ansonsten ist hier die Gastfreundschaft groß, an jeder Ecke verschwindet ein Mann, wer schnell desertiert, darf langsamer sterben, wer erwischt wird, kommt direkter ans Ziel.
    Von dem, was man redet, versteh ich kein Wort, doch was ich verstehe, Kapf geht es gut. Hat gestern entschieden zwei Werber halbiert, die wollten ihm beibringen, wie man hier schwimmt. Vier sind doch viel schöner als zwei, liebe Frau Vischer, und Nichtschwimmer wissen sich immer zu helfen, solange ihr Säbel katholisch bleibt. Morgen soll ich ein Schiff besteigen, gebs Gott, dass wir diesmal aufs Meer

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