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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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an Deck und reißen die Münder auf, damit uns auch ja kein Tropfen entgeht, wir wissen längst, wie das Sparen geht.
    Dann rast über Wochen ein schrecklicher Sturm, das Wasser strömt durch die Kanonenlöcher, niemand wagt mehr, den Mast zu besteigen, und so hat uns Kapf unter Deck eingesperrt, zu denen, die vor uns gestorben sind. Die Luke ist rund um die Uhr bewacht, niemand soll unter Vorwand von Frischluft ungestraft über Bord entkommen und wenn, dann nur mit Säbel und Segen, das heißt, mit einer Kugel im Kopf, denn auch Kapf hat nur einen Gott dabei, der genau wie wir ein Nichtschwimmer ist und vorm Sterben nicht zum Luftholen kam.
    Das Heulen und Schreien ist unerträglich. Wer nicht heult und schreit, der betet und flucht, während draußen die Offiziere stehen, die Rettungsboote fest im Blick, damit sie, bevor der Mast sich neigt, rechtzeitig höflich den Abschied nehmen. Nicht dass ich das weiß, ich vermute es nur, weil ich von unten her wenig sehe, nur das Laufen und Klopfen der Stiefel vernehme, das Schlagen des Sturms und das Werfen der Karten. Ich weiß genau, dass sie Hombre spielen und alle Champagnerflaschen öffnen, die man für sie an Bord gebracht hat, denn sobald sie glauben, verloren zu sein, wollen sie nichts unverbraucht hinterlassen.
    Und wie man mich links und rechts bedrängt, einen letzten Brief in die Heimat zu schreiben. Sie glauben, man schreibt im Sturm keine Briefe, die Seefahrt ist nichts als ein Selbstgespräch, man könnte Papiere und Stift nicht halten? Liebe Frau Vischer. Das ist nichts als ein Irrtum, Sie sind schon an Land eine Witwe geworden, aber ich bin ein Schiffszimmermädchen und weiß, dass man das Hoffen nicht aufgeben darf. Und so schreibe ich diesen und andere Briefe, blind auf gut Glück. Und um uns die Zeit unter Deck zu verkürzen, habe ich auch Testamente verfasst, von denen kein einziges Gültigkeit hat, denn außer Wunsch und Erinnerung hat niemand von uns etwas zu vererben.

    Liebe Frau Vischer. Der Mast hat bestanden, die Rettungsboote sind immer noch da, nur der Champagner ist weggetrunken, und Kapf tut, als wäre gar nichts geschehen, er trägt den Kopf wieder aufrecht im Kragen, selbst der lachhafte Zopf hat den Sturm überlebt. Ich sitze an Deck, lege Muster aus Scherben und werfe die Testamente ins Meer, damit sie rechtzeitig die Heimat erreichen.
    Von weitem sah man den Tafelberg schon oder das, was wir für den Tafelberg hielten, vor Glück wollten wir uns ins Wasser stürzen, so nah schien das Land. Wer noch lebte, fing sofort an zu singen, jeder Zweite trägt hier das Heftchen von Schubart wie ein faules Gebetbuch unter dem Hemd, und ha, wenn sich der Tafelberg aus blauen Düften hebt, so strecken wir empor die Hand und jauchzen, Land! Ihr Brüder, Land!, dass unser Schiff erbebt. Nur dass uns das Singen wenig nützt, weil der Wind uns nicht in die Bucht lassen will, und so haben wir den Berg zwar gesehen, ihn danach aber aus den Augen verloren. Für Wochen war überhaupt nichts in Sicht, sodass man allmählich anfing zu glauben, der Berg ist nur eine Fata Morgana. Der Hunger dagegen ist immer echt, wir mussten das Brot auf die Goldwaage legen, selbst Kapf aß nur Reis mit Pfeffer und Öl, und wenn sich endlich nach Wochen und Wochen der Wind nicht doch noch entschieden hätte, wir wären verhungert.
    Von zweihundert Mann sind zehn gesund, der Rest ist krank, die Hälfte ist tot, die einen sind an Vertrocknung gestorben, die andern vor Schreck, wie das bei Skorbut so üblich ist. Wir haben sie zu den Fischen gebettet, die haben jetzt festliche Tage, und wenn Soldat und Offizier gesund ans Ufer springt, dann jubeln wir, ihr Brüder, ha!, nun sind wir ja in Afrika, und alles tanzt und springt. Weil wir glauben, wir wären im Paradies, weil für den, der den Weg übers Meer nehmen muss und für Monate nichts als Wasser sieht, alles ein Paradies werden muss, was sich den Anschein von Festland gibt. Doch es gibt gar kein Festland, nur Berge und Meer und manchmal heftigen fremden Wind, der selbst Offiziere von Pferden bläst. Natur ist nur etwas für Menschen mit Zeit, für Dichter und Denker. Also grüßen Sie, falls Sie ihn einmal sehen, den Regimentsdichter Schiller von mir, der weiß, wie man Landschaften schönreden kann. Sitzt er im Schatten, oder kniet er im Licht?
    Das Datum lässt sich nicht mehr entziffern, ein kleiner verregneter schmutziger Brief, der irgendwann über das Wasser kam. Seit Wochen trage ich ihn in der Schürze, gleich neben

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