Verbrecher und Versager.
verliert, um am nächsten Tag vielleicht doch zu gewinnen.
Also sprich du zu mir, Onkel John, zwischen morgens um neun und abends um fünf. Wir spielen, die Zeit wäre stehen geblieben, mein Vater sitzt zwischen den Büchern, du stehst unten im Hof und fütterst die Seehunde in den Tonnen. Alle Seehunde heißen Paul, dein Vater hat Sinn für die große Familie, und alle fressen bis heute dasselbe, morgens, mittags und abends Fisch. Er handelt auch mit größeren Tieren, mit Seelöwen und mit Ameisenbären, mit Lamas und mit riesigen Schweinen, die er glatt rasiert in Käfige stellt, um sie gegen Geld bewundern zu lassen. Was für Zeiten das waren, als die Leute in Hamburg noch Geld dafür gaben, um Robben zu sehen und Schweine zu füttern und das Reh aus dem Wald für ein Lama zu halten, weil damals noch galt, was geschrieben steht.
Dein Bruder, Carl, betreibt einen eigenen Handel, mit Meerschweinchen, Käfern und Maulwurfküken, bis er nach England reisen darf, um dort den Ameisenbär zu kaufen. Auf der Rückreise, neben Carl in der Kutsche, befällt das Tier plötzlich heftiges Heimweh, weshalb es ihm Hemd und Hosen zerreißt. Wie sehr ich diese Geschichte liebe, Heimweh, Kutsche und Schiff, wie der Ameisenbär die Matrosen erschreckt, indem er auf See seine Zunge zeigt, während Carl unter Deck gegen Seekrankheit kämpft.
Carl der Große, der den Namen des Vaters trägt, der große Bruder von Onkel John, der in Wahrheit nur sein Stiefbruder ist, über den bei uns auch nicht gesprochen wird. Dabei kennt ihn in Hamburg jedes Kind, den ältesten Sohn in der ersten Reihe, dem, selbst noch ein Kind, schon die Firma gehört, während Onkel John, zwanzig Jahre später, als Nachzügler eine Bühne betritt, auf der es für ihn keine Rolle mehr gibt. Der Zoo ist gegründet, die Tiere sitzen in Käfigen, der Ameisenbär zeigt nur noch selten die Zunge, und die älteren Schwestern sind alt wie Tanten und haben die Brüder gegen Männer getauscht, die in der Werkstatt sitzen, um Tiere zu stopfen und Kulissen zu bauen für Völkerschauen aus Übersee.
Also erzähl mir von langen Nachmittagen, wenn der Regen auf nördliche Hausdächer trommelt und im trüben Licht der Tierstopferwerkstatt deine Onkel die Körper mit Watte füllen, um die Beute für immer haltbar zu machen. Lauter Männer in weißen Kitteln, Präparatoren und Ärzte, die Skelette mit frischen Fellen beziehen, die Körper verwalten und Schrumpfköpfe kämmen, Zahn an Zahn und Knochen zu Knochen. In der Luft ein Geruch von Apotheke und Motten, von Leder und Spiritus, Farbe und Leim. Die ganze Tierwelt wird sorgsam vermessen, zerlegt, zerschnitten, zerteilt und verschoben, von vorne vernäht und rekonstruiert, Schneider des Urwalds von neun bis um fünf, die alle Tiere von vorne erschaffen, bis sie wieder zum Leben erwachen, als könnten sie wieder schwimmen und fliegen, als wären sie wieder zuhause auf der Jagd.
Ein Urwaldstummfilm. Es ist totenstill in den langen
Regalen, doch man sieht, wie die Hähne zu krähen beginnen, die Gänse zu fliegen, die Löwen zu brüllen, wie die Affen sich über die Bäume jagen, ein lautloses Drama ganz ohne Bewegung. Die Präparatoren führen Regie, Dienst an der Wissenschaft und am Geschäft, für den man sie später belohnen wird, wenn die Frauen Witwen geworden sein werden und das Hamburger Weltmuseum gründen, in dem man alles bestaunen kann, die ganze Welt vor die Haustür gebracht.
In der Ecke den stumpfen lauernden Tiger, mit durch und durch frischen Streifen besetzt, Glasaugen, die deutlich ins Leere starren. Darüber den Kopf eines Elefanten, den Rüssel für immer nach oben fixiert, die letzte Posaune am Jüngsten Tag. Ich höre sogar das Rasseln der Kette, mit der man ihn fest im Schiffsbauch verankert, damit er die Reise gut übersteht und nicht seekrank über die Reling geht. Jetzt hängt wie eine Karnevalsmaske sein Kopf in der linken oberen Ecke, gleich neben den langen dunklen Regalen, in denen sich keine Akten befinden, sondern Totenköpfe und kleine Skelette, die man aus Übersee eingekauft hat. Darunter, den linken Arm hoch erhoben, als wollte er noch einen Schlag ausführen, ein riesiger längst besiegter Gorilla, Dschungelkämpfer und Revolutionär, Lenin der Tiere, nur etwas stummer. Ein Denkmal, umflattert von toten Geiern, die Flügel gespreizt und den Schnabel aufs Futter.
Und unter Geiern hockt Onkel John und erzählt mir, dass er nicht bleiben will. Denn wer möchte sein Leben damit
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