Verbrecher und Versager.
etwas länger zuhöre, folgt in Kürze sein Meisterstück!
Denn wer die Tiere beherrscht, beherrscht auch die Menschen, Somalineger und Eskimos, die mit Pferden und Straußen um die Wette laufen, in Hamburg, in Budapest oder in Wien, überall, wo man sie sehen will, überall, wo man dafür bezahlt. Die Zuschauer drängen sich hinter den Gittern und strecken gierig die Hände aus, um endlich den Schwarzen Mann zu berühren, der so tun muss, als verstünde er nichts, als spräche er nicht schon längst ihre Sprache, als hätte er nicht unterwegs schon begriffen, worin dieser einfache Trick besteht.
Nämlich wie man im Zoo seine Hütte aufbaut, zwi- schen den Tieren die Zelte aufschlägt und dann lange genug die Luft anhält, um zu spielen, dass man ein Fremder ist, der nicht weiß, was es heißt, an Tischen zu sitzen und wie man Messer und Gabel hält, der sein Essen noch über dem Feuer kocht, das Fleisch mit bloßen Händen verzehrt und die Suppe direkt aus dem Kessel trinkt. Beim Kochen soll er Kostüme tragen, bunte Perlenschnüre und Federn, und falls er vergessen hat, wie das geht, bringt man ihm alles von vorne bei, denn irgendein Clown kommt immer vorbei, der weiß, wie man Menschen zum Lachen bringt, wie man foppt und täuscht und den Haken schlägt, bis alle Gäste begeistert klatschen, keiner möchte nach Hause gehen.
Denn was macht der Wilde Mann in der Nacht? Wo schlafen die Eskimos mit ihren Frauen? Was macht der Neger in seiner Hütte? Und in welchem Korb schläft die Frau des Fakirs, die sich tags von Messern durchbohren lässt und sich nachts in eine Schlange verwandelt, was keiner der Gäste verpassen will. Genauso wenig den herrlichen Anblick, wenn die Truppe nachts um ein Feuer sitzt und wehmütig Lieder der Heimat singt, die einen von ewigem Eis und Schnee, die anderen von Hitze und Tropenfieber, von Krokodilen und Kängurus, die ungeimpft auf der Überfahrt starben. Ein herzzerreißender Heimwehchor, der manche der Zuschauer so heftig bedrückt, dass sie Münzen und Brot durch das Gitter werfen. Andere schreiben kleine Zettel und werfen sie über das Gitter zum Feuer, dorthin, wo die Schauspieler tanzen, wobei sie den Kopf in den Nacken legen, den Blick himmelwärts auf die Sterne gerichtet, als hätten sie einen Sinn für Natur und keine Ahnung von Alphabeten.
Nur wenn am nächsten Tag einer aufsteht und plötzlich seine Kostüme wechselt, die Pelzmütze einfach ins Feuer wirft, den Federschmuck gegen den Anzug tauscht und entschlossen über das Gitter steigt, um ein Besucher der Innenstadt zu werden, wird die Sache plötzlich gefährlich. Man zieht sich in feste Häuser zurück, man schließt sich ein und rückt fester zusammen, denn der Wilde Mann ist Tourist geworden und hat plötzlich beschlossen, Europa zu sehen. Ein Indianer, ein Eskimo auf Urlaub, ein Schausteller wie alle anderen auch, der einen Vertrag unterschrieben hat und selbst verdientes Geld in der Tasche, das er jetzt in die Läden trägt, in die Bars und Cafés, wo er endlich aufhört, ums Feuer zu tanzen. Er tanzt jetzt, was alle anderen tanzen, nämlich Shimmy und Foxtrott. Denn immer nur so zu tun, als ob, das erschöpft auf Dauer und verwirrt die Sinne, bis am Ende keiner mehr tanzen kann und mancher lieber zum Messer greift.
Doch in Europa hält man sich fest an Zeiten. Messer wirft man von neun bis fünf, danach ist das Messerwerfen verboten, genau wie das Trinken von Alkohol. Das alles steht deutlich im Vertrag, und wer nach fünf noch ein Messer wirft, aus Überdruss oder aus reiner Verzweiflung, bekommt sofort die Peitsche zu spüren. Und so bleiben sie stumpf vor den Zelten sitzen, die einen schwitzend, die anderen frierend, wie damals der Patagomer, der, als er seinen Vertrag unterschrieb, nicht wusste, wie lang ein Jahr wirk- lich ist. Das Heimwehfieber ergriff ihn sehr heftig, ungeimpft und tückisch von hinten, erst in den Knochen, dann auf den Augen, dann wurde der ganze Schädel erfasst, so dass er sich Hemd und Hosen zeriss. Dann sank ihm langsam der Kopf auf die Brust, und nichts vermochte den Kopf zu heben, kein Geld, keine Worte und keine Versprechen, auch kein Besuch in der Innenstadt, von Shimmy und Foxtrott ganz zu schweigen. Bis er sich schließlich im Zoo von Dresden vollkommen unerwartet erhob, ein Pferd bestieg und entschieden sagte: Ich reite nach Hause.
Aber zu Pferd kommt man nicht übers Meer. Jeder Impresario weiß das, weshalb der Onkel die Truppe verlässt, um in Berlin einem anderen
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