Verbrecher und Versager.
Sekundant klarer Rechnungsbücher, damit das Geschäft auch Gewinn abwirft. Schluss mit dem müßigen Blick auf Gott, der Blick ist von oben nach unten gerichtet, dorthin, wo der Baum seine Wurzeln schlägt.
Und er findet den Platz. Hoch über Bandung in Lembang in den Bergen, wo das Klima kühl und regenreich ist. Doch ich sehe genau, wie schwer es ihm fällt und wie er den Alltagsapostel nur spielt, täglich hinausgeht und prüft, ob die Pflanze nicht endlich Fuß fassen will, wo nichts wächst wie es soll. Nicht weil die Mission zu groß für ihn ist, sondern weil die Mission die falsche ist. Denn Franz Wilhelm Junghuhn ist kein fröhlicher Landmann, er kann sich nicht die Natur unterwerfen, die ihn ihrerseits längst unterworfen hat.
Vielleicht auch nur, weil die Zeit verrinnt, und weil, wer nicht in Menschenzeit rechnet, spürt, dass nicht viel davon übrig ist. Die berüchtigte Mischung aus Angst und aus Gier, die alte bekannte Peitsche von früher, und plötzlich, als säße er wieder im Rucksack, die fröhliche laute Stimme des Vaters, mein Sohn, ein Flüchtling, mein Sohn, ein Versager.
Die Koffer sind schwer, wir werden nicht weit damit kommen. Doch er hört mir nicht zu, er spricht nicht mit mir, er will sterben und will wie jeder, der stirbt, endlich allein sein mit seinen Gedanken. Und wenn ich ihn jetzt von der Seite betrachte, mein zusehends blasser werdendes Denkmal, unrasiert und schlecht zugeknöpft, sehe ich deutlich, wie krank er ist. Die Amöben zerfressen ihm langsam die Leber, selbst wenn er noch einmal den Arzt spielen würde, käme jede Hilfe zu spät.
Wie sinnlos es ist, aus Papierfetzen, flüchtigen Hinweisen und unscharfen Fotografien das Bild eines Menschen zu basteln, der selber nicht 'weiß, was später aus ihm geworden sein wird, weil er niemals erfährt, wie sehr er sich täuscht, wenn er für immer die Augen schließt, weil schon wenige Jahre nach seinem Tod die Chinarinde so prächtig gedeiht, dass der Handel der Holländer großartig blüht. Chinin und Chinin und nochmals Chinin steht weltweit auf niederländischer Flagge.
In Lembang dagegen ist es jetzt still. Denn niemand macht sich gern auf den Weg, um Männer aus zweiter Reihe zu treffen. Nur ich bin gekommen, genau wie versprochen, und nehme jetzt alles in Augenschein. Die Berge, die Bäume, das Krankenhaus, das irgendwer hier nach Junghuhn benannte, nach dem, der niemals ein Arzt werden wird. Unweit davon auf dem Grabstein die Fakten, die Fräulein Koch in den Stein ritzen ließ und die sein kurzes Leben um noch ein kurzes Jahr kürzer machen. Ein kleiner unbedeutender Irrtum, vermutlich ohne Verstand und Absicht, nur Eile und Aufbruch und Flucht, Fahrigkeit bei der Durchsicht der Zettel. Unlust der Rekonstruktion, weil auch Fräulein Koch längst begriffen hat, dass es einzig auf Tatkraft ankommt, auf das rasche Werfen von Schrift auf Papier, auf das entschiedene Packen der Koffer und auf die Reise zurück in die Heimat, wo sie weitere fünfzig Jahre verbringt, auf einem mir fremden Balkon in Den Haag, mein Opernglas um den Hals gehängt, im Rücken den Schatten von Franz Wilhelm Junghuhn, von dem sie noch weniger weiß als ich, am wenigsten, wann er geboren ist.
Wahrscheinlich ist ihr das alles egal, denn was ist ein Jahr, was sind fünfzig Jahre, wenn man den Blick in den Krater wirft und endlich für immer verstummt im Angesicht dieser lachhaften Tafel, die Junghuhns verwitterte Lebensdaten mit der festlichen Aufschrift verziert: HIER LIEGT DER HUMBOLDT VON JAVA.
Bis man auch Humboldt zum Schweigen bringt, auf dem Friedhof der Großstadt, die ich gut kenne, denn einmal, es ist ein paar Jahre her, besaß ich dort einen Balkon. Für den Schaden meiner kurzen Abwesenheit kommt die Wirtin von Schwoerer auf.
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J OHN H AGENBECK
(1866-1940)
W ir sprechen hier nicht über Onkel John! Und falls
doch, dann nur hinter erhobener Hand, so als hätte es nie einen Onkel gegeben, keinen Mann mit Schnurrbart und Tropenhelm, der weiß, wie man Menschen und Tiere beschwört und nach Übersee fährt, um dort einzukaufen. Singhalesen, Somalier und Hottentotten, Feuerländer und Eskimos, die er mit Geld und mit Worten füttert, bis sie mit ihm ein Schiff besteigen, um das unbekannte Europa zu sehen. Wir gehen auf Tour, ihr werdet reich und berühmt, man wird euch beklatschen, versprach der Onkel. Vielleicht sprach er auch von Amerika, von Jahrmärkten, von der Arena, dem Zoo.
Ich weiß nicht, was sie dort wirklich sahen,
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