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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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die Perlen beschränkt, auf den Reichtum und dazu passende Männer, die mit Geschenken im Hafen stehen, als wäre die Welt nur ein Souvenir und als koste es nicht die geringste Mühe, den Reichtum über die Meere zu schaffen.
    Denn die Reise ist der leichtere Teil, der schwierige Teil ist das Perlentauchen, die Perlentaucher sind wirkliche Künstler, die genau wissen, wie man Fische fängt und wie man danach noch viel tiefer taucht, um richtige Schätze ans Licht zu holen. Nicht nur die Perlen, auch die Männer möchte der Onkel verkaufen, er würde sie gerne nach Hamburg schicken, damit sie dort ihre Kunststücke zeigen. Vor den gierigen Augen des Publikums würde er sie in Becken werfen, je tiefer, je besser, damit sie von unten nach oben holen, was man hinabgeworfen hat.
    Wie die Damen um ihre Ringe fürchten und die Männer um ihre Manschettenknöpfe, um alles, was sie erwirtschaftet haben zwischen morgens um neun und abends um fünf. Die ganze Arbeit ehrlicher Hände wirft der Onkel hinunter ins Becken. Ich schließe die Augen, meine Hände sind nass, ich beginne zu zählen. Und wenn es auch Stunden und Tage dauert, auf die Taucher des Onkels ist immer Verlass, alles nur eine Frage des Willens, der Zeit, der Geduld und des langen Atems, denn ich weiß, wenn ich jetzt die Augen öffne, ist alles plötzlich von vorne da, die Ringe und die Manschettenknöpfe, sogar die billigen Reifen der Kinder.
    Nur ist aus dem ganzen Geschäft nichts geworden, weil die Perlentaucher nicht daran dachten, vor Publikum in die Becken zu springen und nach Kinderreifen zu tauchen. Das eigene Meer ist groß genug, und der Onkel verlegt sich auf andere Geschäfte, auf das, was seit jeher oben schwimmt und nur gelegentlich untergeht, auf den Handel der großen Überseeschiffe.

    Der Onkel als Überseebauchladenmann. Ein Schiffslieferant kann mit allem handeln, auch mit dem, wonach man nicht tauchen muss. Mit Wasser und Brot, mit Kompass und Rohrstock, mit Seife, mit Scheuerlappen und Schrauben, mit Dosen und Fisch, mit Schuppen und Netzen, mit Messern, Kerzen, Tabak und Wein, und nebenbei, in ganz anderen Kisten, mit allem, was niemand zu sehen bekommt. Nur mein Bruder behauptet, genau zu wissen, was sich in diesen Kisten befindet. Elefantenzähne, das Horn eines Nashorns, und unten am Boden Muscheln und Perlen, mit denen man seine Freundschaften pflegt, wenn man weit weg von Zuhause ist. Denn wie leicht und wie schnell vergisst man einander, wenn man erst außer Sichtweite ist! Nur ein Zahn, eine Perle zur richtigen Zeit hat Platz in jeder Erinnerung und hält die Erinnerung länger wach als der längste Brief dieser Welt.
    Nicht dass der Onkel geschrieben hätte, weder Briefe noch Bücher. Auch die Bücher im Regal meines Vaters tragen nur zum Schein seinen Namen, der Onkel hat sie nicht selber verfasst, weshalb man kein Wort davon glau- ben darf. Und wenn er sie selbst geschrieben hätte, dürfte man noch viel weniger glauben. Aus den Augen, aus dem Sinn, sagt meine Mutter, denn was der Onkel in Umschläge steckt, sind Verträge, Bestellungen, Warenlisten, Rechnungen ohne persönliche Note, er hat seine Braut längst aufgegeben.

    In Übersee herrschen andere Kriege. Vor der Haustür in Hamburg ist es noch still, aber hier in der neuen Nachbarschaft hat der grausame Lärm längst begonnen. Am Kap kämpfen Engländer gegen die Buren, kein Zirkus, kein Stummfilm. Ein einziges Laufen, Schreien und Stoßen, ein Ächzen und Stöhnen, ein Keuchen und Seufzen. Kennt ihr den Urwald mit seinen vielen Gefahren? Das Knacken der Zweige, das heiße Atmen, jeder Strauch könnte plötzlich zu laufen beginnen und verwandelt sich Schritt für Schritt in ein Tier, das wir noch gar nicht gesehen haben, von dem wir nicht ahnen, dass es schon da ist. Der Gott des Krieges in Pelze gewickelt, bis an die Zähne hinauf bewaffnet, kein Soldat, der hier noch auf Namen hört, kein Offizier, der durch Reifen steigt. Hier regieren weder Onkel noch Tanten, hier regiert eine riesige sinnlose Kraft, ein gnadenloser Arenenbeherrscher, der alles mit Stacheldraht umzäunt, als hätte niemand mehr Anrecht auf Dasein.
    Das wissen auch die Soldaten genau, die schleichend und flüsternd die Zelte einkreisen, die einen kriechend, die anderen rühren sich gar nicht vom Fleck, denn sie kennen diese Gesetze genau, wie man sich in die Erde eingräbt und möglichst lange die Luft anhält, um erst am Jüngsten Tag wieder aufzustehen. Andere haben weniger Glück, weil sie es

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