Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
und die Nacht senkte sich über die Stadt. Was für eine Erleichterung wäre es, dachte Yasuko, wenn jetzt alles dunkel und die Welt untergehen würde.
Kudo hielt vor ihrem Haus. »Ruh dich aus. Ich rufe dich an.«
Sie nickte und wollte die Wagentür öffnen. »Warte«, rief Kudo.
Als Yasuko sich ihm zuwandte, befeuchtete er sich die Lippen. Er schlug auf das Lenkrad und fuhr dann mit der Hand in seine Jacketttasche.
»Warte, ich möchte es dir doch jetzt sagen.«
»Was denn?«
Kudo zog eine kleine Schachtel aus seiner Tasche. Es war auf den ersten Blick zu erkennen, was es war. »So sieht man es oft in Fernsehserien, und eigentlich liegt mir so etwas nicht,aber anscheinend gehört es sich so«, sagte er und öffnete die Schachtel. Sie enthielt einen Ring. Ein großer Diamant blitzte auf.
»Kudo …« Yasuko starrte ihn fassungslos an.
»Du musst dich nicht gleich entscheiden«, sagte er. »Wir müssen ja auch auf Misatos Gefühle Rücksicht nehmen, gar nicht zu reden von deinen. Ich möchte nur, dass du weißt, wie ernst es mir ist. Ich bin überzeugt, dass ich euch beide glücklich machen könnte.« Er nahm Yasukos Hand und legte die Schachtel hinein. »Nimm ihn, er stellt keine Verpflichtung dar. Er ist nur ein Geschenk. Nur wenn du dich zu einem Leben mit mir entschließen kannst, erhält der Ring eine Bedeutung. Bitte, denk darüber nach.«
Yasuko fühlte sich völlig ratlos. Sie verstand zwar nur die Hälfte von Kudos Worten, begriff aber natürlich, was er wollte. Seine Absichten stürzten sie in noch größere Verwirrung.
»Entschuldige, das kommt alles etwas plötzlich, ich weiß.« Kudo grinste verlegen. »Du brauchst dich mit deiner Antwort nicht zu beeilen. Berate dich erst einmal mit Misato«, sagte er und schloss den Deckel der Schachtel in Yasukos Hand. »Bitte.«
Yasuko wusste nicht, was sie sagen sollte. Alles Mögliche schoss ihr durch den Kopf. Vor allem dachte sie an Ishigami.
»Ich werde darüber nachdenken«, brachte sie schließlich mühsam hervor.
Kudo nickte sichtlich zufrieden. Yasuko lächelte und stieg aus.
Sie schaute seinem Wagen nach und ging dann hinauf zu ihrer Wohnung. Während sie aufschloss, warf sie einen Blick auf die Tür nebenan. Der Briefkasten quoll über, aber Zeitungen hingen nicht heraus. Wahrscheinlich hatte Ishigami alleAbonnements gekündigt, bevor er sich der Polizei stellte. Diese Art der Voraussicht entsprach seinem Wesen.
Misato war noch nicht zu Hause. Einen langen Seufzer ausstoßend ließ Yasuko sich auf einen Stuhl sinken. Einer Eingebung folgend öffnete sie eine Schublade, in der sie ganz hinten eine Pralinenschachtel aufbewahrte. Sie nahm den Deckel ab. In der Schachtel waren alte Briefe, und sie nahm einen von ganz unten heraus. Der Umschlag war nicht beschriftet. In ihm befand sich ein liniertes, beschriebenes Blatt Papier. Ishigami hatte den Umschlag vor seinem letzten Anruf in ihren Briefkasten geworfen. Außer dieser Botschaft hatte er drei Briefe enthalten.
Seine Botschaft erläuterte ausführlich, wie sie die Briefe einsetzen und was sie der Polizei sagen sollte, die in Kürze bei ihr auftauchen würde. Er schrieb nicht nur an Yasuko, er gab auch Anweisungen für Misato, die alle nur möglichen Szenarien abdeckten. Er hatte so genau beschrieben, was sie zu tun hätten, dass die Hanaokas, ganz gleich, welche Fragen man ihnen stellen würde, nie ins Schleudern geraten konnten. Auf diese Weise hatten Yasuko und Misato der Polizei Rede und Antwort stehen können, ohne sich in Widersprüche zu verstricken. Yasuko war wie besessen von dem Gedanken, dass, sobald sie einen Fehler machen und ihre Lügen aufgedeckt würden, Ishigamis ganze Mühe umsonst gewesen wäre. Misato empfand wahrscheinlich das Gleiche. Am Ende seiner Anweisungen hatte Ishigami noch etwas hinzugefügt.
»Ich halte Kuniaki Kudo für einen aufrichtigen und vertrauenswürdigen Menschen. Eine Verbindung mit ihm würde die Wahrscheinlichkeit vergrößern, dass Sie und Ihre Tochter glücklich werden. Bitte, vergessen Sie mich. Sie dürfen kein schlechtes Gewissen mir gegenüber haben. Denn wenn Sienicht glücklich werden, war alles, was ich getan habe, umsonst.«
Als sie den Brief noch einmal las, musste sie wieder weinen. Noch nie hatte sie eine so tiefe Zuneigung erlebt. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass so etwas auf der Welt existierte. Doch hinter Ishigamis ausdrucksloser Maske verbarg sich eine für gewöhnliche Menschen unergründliche, unbegreifliche Liebe. Als sie
Weitere Kostenlose Bücher