Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
ist ein Mann verschwunden. Ein Mensch, der nichts getan hatte. Sobald er identifiziert ist und man seine Familie finden wird, kann die Polizei eine DNA-Analyse durchführen. Diese DNA braucht man dann nur noch mit der des angeblichen Shinji Togashi zu vergleichen, um die Wahrheit zu erfahren.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest.« Ishigami grinste. »Der Mann hatte bestimmt keine Familie. Und selbst wenn es irgendeinen Weg gäbe, seine Identität zu klären, würde das unheimlich viel Mühe kosten und ewig dauern. Bis dahin bin ich längst verurteilt. Natürlich werde ich keine Berufung einlegen, ganz gleich, wie das Urteil ausfällt. Der Prozess ist dann abgeschlossen, und damit der Mord an Shinji Togashi aufgeklärt. Die Polizei kann nichts mehr tun. Oder …«, er sah Kusanagi an, »Sie hören auf Yukawa, und die Polizei ändert ihre Strategie. Aber dazu müssten Sie mich freilassen. Mit welcher Begründung? Weil ich kein Mörder bin? Aber ich bin einer. Was machen Sie mit meinem Geständnis?«
Kusanagi senkte den Blick. Der Mann hatte recht. Solange er nicht beweisen konnte, dass Ishigamis Geständnis erlogen war, konnte er seine Verurteilung nicht aufhalten. Das lag im System.
»Noch eins gibt es, was ich dir sagen will«, sagte Yukawa.
Ishigami sah ihn unwillig an. Was ist denn jetzt noch, sagte sein Blick.
»Die Vorstellung, dass ein so großartiges Gehirn wie das deine so missbraucht wird, erfüllt mich mit Bedauern. Es macht mich wirklich traurig. Ebenso traurig macht es mich, einen Freund und Rivalen, wie es keinen zweiten auf der Welt gibt, für immer zu verlieren.«
Ishigami presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick. Er schien sich beherrschen zu müssen. Gleich schaute er wieder zu Kusanagi auf. »Anscheinend ist er jetzt fertig. Kann ich wieder in meine Zelle?«
Kusanagi sah Yukawa an. Dieser nickte stumm.
»Also, gehen wir.« Kusanagi öffnete die Tür. Ishigami ging als Erster hindurch, Yukawa folgte.
Kusanagi wollte Ishigami schon in seine Zelle zurückbringen, als aus einem Seitengang Kishitani um die Ecke bog. Er hatte eine Frau bei sich.
Yasuko Hanaoka.
»Was ist los?«, fragte Kusanagi seinen jüngeren Kollegen.
»Sie ist aufs Revier gekommen und sagte, sie habe eine Aussage zu machen. Also, es scheint unglaublich …«
»Hat sie es nur dir erzählt?«
»Nein, der Chef war auch dabei.«
Ishigami war aschfahl geworden. Mit blutunterlaufenen Augen starrte er Yasuko an. »Was wollen Sie denn hier?«, flüsterte er.
Yasuko stand reglos und wie erstarrt da. Ihre Züge verzerrten sich. Tränen stürzten ihr aus den Augen. Plötzlich trat sie vor Ishigami und warf sich vor ihm auf den Boden.
»Verzeihen Sie mir! Es tut mir so leid. Was Sie für uns getanhaben … was Sie getan haben«, schluchzte sie mit bebenden Schultern.
»Was reden Sie da? Was reden Sie da für ein Zeug …«, schrie Ishigami. Seine Stimme klang dröhnend, beschwörend.
»Wir sollten allein glücklich werden – aber das ist unmöglich. Auch ich muss büßen. Bestraft werden. Ich werde meine Strafe gemeinsam mit Ihnen verbüßen, Herr Ishigami. Das ist das Einzige, was ich für Sie tun kann. Es tut mir so leid. Verzeihen Sie mir.« Yasuko kauerte auf dem Boden, beide Hände vor sich. Ishigami wich kopfschüttelnd zurück. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
Plötzlich wirbelte er herum und umschloss seinen Kopf mit beiden Händen. Er stieß ein lautes, anhaltendes Geheul aus. Es klang wie von einem Tier. Ein Schrei, in dem sich Verzweiflung und Hilflosigkeit mischten. Er zerriss die Herzen aller, die ihn hörten.
Wachleute eilten herbei, um Ishigami zu ergreifen.
»Lasst ihn in Ruhe!« Yukawa stellte sich ihnen in den Weg. »Lasst ihn wenigstens weinen …«
Yukawa legte seinem Freund von hinten sacht die Hände auf die Schultern.
Ishigami schrie weiter. Kusanagi schien es, als würde er sich die Seele aus dem Leib schreien.
Informationen zum Autor
Keigo Higashino, wurde 1958 in Osaka, Japan, geboren. Nach seinem Ingenieurs-Studium begann der Kapitän einer Bogenschützenmannschaft Kriminalromane zu schreiben. Für seine mittlerweile neun Romane erhielt er zahlreiche Preise. Einige von ihnen standen jahrelang an der Spitze der Bestsellerlisten und wurden auch verfilmt. »Verdächtige Geliebte« ist für den »Edgar« nominiert.
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