Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
Herz hämmerte. Das Atmen fiel ihr schwer, und sie hatte das Gefühl, kurz vor einer Ohnmacht zu stehen. Sie hatte keine Ahnung, was Yukawa im Begriff war, ihr zu sagen. Aber seinem Ton nach zu urteilen, musste es etwas Unvorstellbares sein.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Aber wenn Sie mir etwas zu sagen haben, sagen Sie es bitte schnell.« Trotz ihrer entschlossenen Worte klang ihre Stimme schwach und zitterte.
»Ishigami hat den Mann am Alten Edogawa getötet.« Yukawa holte tief Luft. »Er war es. Nicht Sie und auch nicht Ihre Tochter. Er büßt also nicht für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Er ist ein Mörder.«
Yasuko starrte ihn sprachlos an, ohne den Sinn seiner Worte zu begreifen.
»Allerdings«, fügte Yukawa hinzu, »handelt es sich bei der Leiche nicht um Shinji Togashi, sondern um einen völlig Fremden. Es sollte nur so aussehen, als wäre er Ihr Ex-Mann.«
Yasuko runzelte die Stirn. Sie hatte noch immer nicht begriffen, was Yukawa sagte. Aber als sie sah, wie die Augen des Professors hinter den Brillengläsern sich mit Tränen füllten, wurde ihr plötzlich alles klar. Nach Atem ringend schlug sie die Hand vor den Mund. Beinahe hätte sie vor Entsetzen aufgeschrien. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, um sofort wieder daraus zu weichen.
»Anscheinend haben Sie endlich verstanden, was ich Ihnen sagen will«, sagte Yukawa. »So ist es. Ishigami hat, um Sie zu schützen, am 10. März einen weiteren Menschen ermordet. Am Tag nach dem Tod des echten Shinji Togashi.«
Yasuko wurde schwindlig. Sie schaffte es kaum, aufrecht sitzen zu bleiben. Ihre Gliedmaßen wurden eiskalt, ihr ganzer Körper überzog sich mit Gänsehaut.
Kusanagi erkannte selbst aus der Entfernung, dass Yukawa der Frau die Wahrheit gesagt hatte. Sie war kreidebleich geworden. Er selbst konnte sie noch immer nicht ganz glauben. Als Yukawa ihm unterwegs die ganze Geschichte erzählt hatte, hatte er sie beinahe für einen schlechten Scherz gehalten. Natürlich würde Yukawa mit so etwas nicht spaßen, aber das Ganze wirkte einfach dermaßen unrealistisch.
»Das ist doch unmöglich«, hatte Kusanagi gesagt. »Er soll jemanden umgebracht haben, um Yasuko Hanaokas Mord zu vertuschen? Aber das ist doch idiotisch! Und wen soll er überhaupt getötet haben?«
Yukawa hatte noch trauriger ausgesehen und den Kopf geschüttelt. »Ich weiß nicht, wie er hieß, aber ich weiß, wo er sich aufhielt.«
»Was soll das heißen?«
»Es gibt Menschen auf dieser Welt, um die keiner sich Sorgen macht, wenn sie plötzlich verschwinden. Wahrscheinlich wird nicht einmal eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Diese Personen haben vermutlich keinen Kontakt mehr zu ihren Familien.« Yukawa deutete auf das Flussufer, das sie entlanggegangen waren. »Du hast sie ja selbst gerade gesehen. Diese Menschen.«
Kusanagi verstand nicht sofort, was Yukawa meinte. Aberals er in die Richtung sah, ging ihm ein Licht auf. »Die Obdachlosen!«
Ohne zu reagieren, fuhr Yukawa fort. »Hast du den Typ bemerkt, der die leeren Dosen sammelt? Er weiß alles über die Obdachlosen, die hier ihre Behausungen haben. Auf meine Frage erzählte er mir, vor etwa einem Monat hätte sich ein neues Mitglied zu ihnen gesellt. ›Gesellt‹ ist vielleicht nicht das richtige Wort, jedenfalls war einer hinzugekommen. Er hatte sich noch keinen Unterschlupf gebaut, auf Pappe zu schlafen, widerstrebte ihm. Dem Dosenmann zufolge sei das am Anfang bei allen so. Die Menschen hätten eben ihren Stolz. Aber das sei nur eine Frage der Zeit. Jedenfalls sei dieser Neuankömmling eines Tages plötzlich verschwunden. Sang- und klanglos, ohne Ankündigung. Der Dosenmann hat sich ein bisschen gewundert, aber mehr auch nicht. Andere Obdachlose müssten ebenfalls bemerkt haben, dass er nicht mehr da war, aber niemand sagte etwas. In ihrer Welt ist es ganz alltäglich, dass jemand von einem Tag auf den anderen verschwindet. Übrigens ist der Mann etwa seit dem 10. März nicht mehr gesehen worden. Er war etwa 50 Jahre alt, seinem Alter entsprechend etwas rundlich, aber ansonsten von mittlerer Statur.«
Die Leiche war am 11. März am Alten Edogawa gefunden worden.
»Ich weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, aber Ishigami muss irgendwie erfahren haben, dass Yasuko Hanaoka ihren Mann umgebracht hat. Darauf hat er beschlossen, ihr zu helfen und das Verbrechen zu vertuschen. Ihm war klar, dass es nicht genügte, die Leiche aus dem Weg zu schaffen. Sobald man sie identifizieren würde, käme die
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