Verdammnis der Lust (Band 1)
einen durchbohrenden Blick und griff nach seinem doppelten Espresso. Anstatt sich umzudrehen, beäugte er jedoch den Becher und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.
Ich hatte keine Ahnung, was ihn zu stören schien, und fragte irritiert. „Ist alles in Ordnung?“
„Klar“, allem Anschein nach war er tatsächlich amüsiert. „Sie haben sie immer noch nicht draufgeschrieben.“
„Bitte?“ Ich blinzelte verwirrt.
„Entschuldigen Sie, Miss! Ich würde ganz gerne auch noch etwas bestellen“, erscholl eine genervte Stimme aus der Reihe.
Hin und hergerissen zwischen den wartenden Kunden und dem Mann, der lässig und absolut ruhig vor mir stand, stammelte ich wirre Worte.
„Ähh ... einen Moment, bitte!“
„Macht nichts“, der Fremde mit den unglaublichen Augen nickte mir zu. „Bis morgen, Annabelle.“
Ich merkte, dass mein Kinn nach unten klappte, weil er mich mit meinem Namen angesprochen hatte, und starrte dem breiten Rücken hinterher, als er den Coffeeshop verließ. Nur mühsam konnte ich mich auf die anderen Kunden konzentrieren, während es in meinem Kopf ratterte, schließlich hatte ich ihm nie meinen Namen genannt. Erst in meiner Pause fiel mir das Offensichtliche auf – mein Namensschild, das an dem furchtbaren Poloshirt befestigt war, das ich während meiner Schicht trug.
Als ich Stunden später nach Hause kam, dachte ich immer noch über den gutaussehenden Mann nach, der mir schon seit Tagen nicht aus dem Kopf gehen wollte. Ich hatte keine Ahnung, was er gemeint haben könnte, und rätselte darüber nach, als ich das kleine Haus meiner Tante betrat.
Der muffige Geruch nach abgestandenen Rauch, alten Möbeln und dem schrecklichen Essen, das meiner Tante an jedem Mittag geliefert wurde und fatal nach Krankenhausfraß schmeckte, begrüßte mich, sobald ich den kleinen und renovierungsbedürftigen Flur betrat. Ich konnte sooft lüften, putzen oder Geruchserfrischer kaufen, wie ich wollte, das Haus roch immer gleich und erinnerte mich an meine Kindheit, in der ich mehr Zeit bei meiner Tante und meinem mittlerweile verstorbenen Onkel verbracht hatte als bei meiner Mutter. Dank meines Onkels, der fast sein ganzes Leben lang stark geraucht hatte, rochen alle Zimmer wie eine Tabakfabrik und wiesen an der alten Tapete nikotingelbe Flecken auf. Leider hatte meine Tante kein Geld für eine kleine Renovierung und war längst über den Punkt hinweg, an dem sie sich um das Aussehen ihres Heims gekümmert hatte. Eigentlich konnte ich dies sogar verstehen, da ich mittlerweile jedoch ebenfalls hier wohnte, wäre eine kleine Verschönerung des Hauses nicht schlecht gewesen.
Nun ja, es war ja nicht so, als würde ich Besuch mit nach Hause bringen, daher konnte mir egal sein, dass das Wohnzimmer aussah, als würde ein Rentnerpaar aus den Achtzigern hier wohnen und von morgens bis abends Kette rauchen. Manchmal fiel mir jedoch ein, dass ich erst dreiundzwanzig Jahre alt war und zu jung für Blümchentapeten oder abendliche Quizsendungen sein sollte. Ich lebte in London und könnte meine Freizeit mit Partys, Freunden und aufregenden Flirts verbringen – stattdessen arbeitete ich in einem Coffeeshop, lebte in dem verkommenen Haus meiner Tante und verbrachte meine komplette Freizeit mit ihr. Etwa anderes konnte ich mir gar nicht leisten, schließlich fraß bereits die Vormittagsbetreuung meinen halben Lohn auf. Sobald ich nach meinem Job nach Hause kam, musste ich mich um meine kranke Tante kümmern und war gar nicht in der Lage, an Partyabende zu denken.
Ich streifte meine Jacke ab und freute mich schon darauf, meine Arbeitskleidung loszuwerden, als ich sah, wie die Pflegerin meiner Tante den Kopf aus der Küche steckte.
„Hallo, Annabelle.“
„Hallo“, ich lächelte und stellte meinen Rucksack auf der Treppe ab, bevor ich in die Küche ging. „Wie lief es heute?“
„Sie ist heute nicht sehr gut drauf“, Sheila zuckte mit der Schulter. „So wie in den letzten Tagen.“
Seufzend holte ich tief Luft und blendete die Geräusche, die aus dem Wohnzimmer kamen und darauf schließen ließen, dass meine Tante vor einer Kochsendung eingeschlafen war, einfach aus. Ein Symptom ihrer Krankheit war permanente Müdigkeit, so dass sie die meiste Zeit am Tag schlief und trotzdem ständig erschöpft war.
„Tante Maggie macht sich Vorwürfe, dass ich das Studium abgebrochen habe.“
„Ich weiß“, Sheila schenkte mir ein schwaches Lächeln. „Sie wollte nichts essen. Vielleicht kannst du sie ja gleich
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