Verdammnis der Lust (Band 1)
dazu bringen, wenigstens ein wenig zu essen.“
Ich nickte. „Hat sie ihr Imipramin genommen?“
Sheila schüttelte den Kopf. „Da sie noch nichts gegessen hat ...“
Mit einem Seufzen unterbrach ich sie. „Schon gut. Ich werde es ihr gleich geben.“
Meine Tante war eine liebe und wunderbare Frau, die sich Vorwürfe machte, dass sich ihre Nichte nun um sie kümmerte und das Studium hatte abbrechen müssen, weil sie Geld für ihre Versorgung verdienen musste, aber manchmal machte sie mir das Leben nicht gerade leichter. In der letzten Zeit war sie auch noch depressiv geworden und litt unter absoluter Appetitlosigkeit. Das hieß für mich, dass ich sie jeden Tag zum Essen überreden musste, da sie ansonsten das Antidepressivum nicht nehmen durfte. Es war ein Teufelskreis, der mir viel Kraft kostete.
„Sie ist erst vor zwanzig Minuten eingeschlafen.“ Sheila griff nach ihrem Mantel, der über der Stuhllehne gelegen hatte. „Daher dürfte sie erst in einer Stunde wieder aufwachen.“
„Danke“, ich lächelte knapp und widerstand dem Drang, laut zu gähnen. In der letzten Nacht hatte ich nicht besonders gut geschlafen, da mir momentan zu viele Dinge im Kopf herumgingen. Ich sorgte mich um Tante Maggie, deren MS immer schlimmer wurde, ich dachte daran, wie ich genug Geld verdienen konnte, um uns beide zu versorgen, da ihre kleine Witwenrente nicht einmal die nötige medizinische Betreuung abdeckte, und ich fragte mich, ob ich irgendwann mein Studium wieder aufnehmen könnte.
„Dann lasse ich dich mal allein.“ Sheila drückte aufmunternd meinen Arm.
Tante Maggie und ich konnten uns glücklich schätzen, Sheila gefunden zu haben. Sie war eine wunderbare Pflegerin, die sich großartig um Tante Maggie kümmerte und Verständnis hatte, wenn ich ihren Lohn ein paar Tage später überwies, falls mein Gehalt mal wieder verspätet auf meinem Konto eintrudelte.
„Ach, Annabelle. Ich muss mit Kadir morgen zum Kinderarzt. Kann ich eine halbe Stunde früher gehen?“
Das bedeutete für mich, dass ich meine Pause vorziehen und meinen Chef bitten müsste, mich ein paar Minuten früher gehen zu lassen, da Sheila jedoch in letzter Zeit öfter etwas länger geblieben war, nickte ich sofort. „Natürlich. Das ist kein Problem.“
„Wunderbar. Wir sehen uns dann morgen früh.“
„Bis morgen“, ich brachte sie zur Tür und genoss die kurze Atempause, als ich die Eingangstür schloss und meine Stirn dagegen lehnte. Seit dem Tod meines Onkels vor ein paar Monaten hatte sich mein komplettes Leben geändert. Vor einem Jahr hatte ich in Leicester studiert, von einem kleinen Stipendium sowie ganz angenehmen Nebenjobs als Nachhilfelehrerin gelebt und ein relativ sorgenfreies Studentenleben geführt. Dann war mein Onkel erkrankt, woraufhin ich wieder nach London gezogen war und mich hier an der Uni eingeschrieben hatte. Seine schwere Krankheit und sein plötzlicher Tod waren der Grund gewesen, weshalb ich meine Zwischenprüfung nicht angetreten war und mein Stipendium verlor. Anschließend war mir nichts anderes übrig geblieben, als mein Architekturstudium ganz an den Nagel zu hängen.
Die Gedanken an mein Studium verdrängte ich schnell und machte mich auf den Weg in die Küche, weil mein Magen angefangen hatte, auf sich aufmerksam zu machen. Während ich mir ein Sandwich zubereitete, dachte ich wieder an den heutigen Tag und die merkwürdige Bemerkung des Mannes. Momentan hatte ich wirklich andere Sorgen, als mir Gedanken um einen Mann zu machen, und ganz sicher hatte ich wichtigere Dinge, über die ich nachdenken musste, dennoch ging er mir einfach nicht aus dem Kopf.
Wenn ich an seinen dunklen Blick dachte, bekam ich augenblicklich eine Gänsehaut und merkte, wie mein Mund trocken wurde.
„Annabelle?“
Die schläfrige Stimme meiner Tante riss mich aus meinen Gedanken. Anscheinend konnte sie wieder einmal nicht besonders gut schlafen. Ich ließ mein Sandwich liegen und machte mich auf den Weg ins Wohnzimmer.
Es war wirklich kein guter Zeitpunkt für mich, mir Gedanken um Männer zu machen.
Ich hasste es, wenn ich unter Zeitdruck geriet!
Genervt hastete ich die Treppen der Subway wieder hinauf auf den Bürgersteig und atmete vor Anstrengung so heftig, dass kleine Nebelschwaden vor meinem Gesicht entstanden. Natürlich hatte es in der letzten Nacht anfangen müssen zu schneien, so dass ausgerechnet heute alles völlig matschig war, dachte ich genervt, als die nasse Kälte durch meine Stiefel
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