Verdammnis
den Hinterkopf und trat im Gesicht wieder aus.«
»Genickschuss, wie bei einer Hinrichtung.«
»Genau.«
»Ich dachte … irgendjemand müsste den Schuss doch gehört haben.«
»Sein Schlafzimmer geht auf den Hof hinaus, und die Nachbarn über und unter ihm sind über Ostern verreist. Das Fenster war zu. Außerdem hat der Täter ein Kissen als Schalldämpfer benutzt.«
»Ganz schön gerissen.«
In diesem Augenblick streckte Gunnar Samuelsson von der technischen Abteilung den Kopf durch die Tür.
»Hallo, Bubbla«, grüßte er und wandte sich dann an seine Kollegin. »Wir wollten gerade die Leiche abtransportieren und haben sie umgedreht. Da ist etwas, das du dir anschauen solltest.«
Sie folgten ihm ins Schlafzimmer. Nils Bjurmans Leiche war auf eine Rollbahre gelegt worden - die erste Station auf dem Weg zum Pathologen. Die Todesursache bezweifelte niemand. Seine Stirn war eine riesige, zehn Zentimeter breite Fleischwunde, und ein großer Teil des vorderen Schädelknochens hing nur noch an einem Hautfetzen. Das Muster der Blutspritzer auf dem Bett und an der Wand sprach eine deutliche Sprache.
Bublanski machte einen Schmollmund.
»Was sollen wir uns ansehen?«, fragte Modig.
Gunnar Samuelsson hob das Leichentuch und entblößte Bjurmans Unterleib. Bublanski setzte seine Brille auf, als Modig und er näher herantraten und den eintätowierten Text auf Bjurmans Bauch lasen. Die Buchstaben waren ungeschickt und ungleichmäßig - ganz offensichtlich war es kein geübter Tätowierer gewesen, der diese Worte geschrieben hatte. Aber die Botschaft ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: ICH BIN EIN SADISTISCHES SCHWEIN, EIN WIDERLING UND EIN VERGEWALTIGER.
Modig und Bublanski tauschten einen verblüfften Blick.
»Haben wir da eventuell ein Motiv?«, fragte Modig schließlich.
Auf dem Heimweg kaufte sich Mikael Blomkvist im 7-Eleven-Shop ein Fertiggericht und schob es sogleich in die Mikrowelle, während er sich auszog und drei Minuten unter die Dusche stellte. Dann holte er sich eine Gabel und aß im Stehen direkt aus der Plastikschale. Er hatte Hunger, aber keinen Appetit, und wollte das Essen so schnell wie möglich hinter sich bringen. Als er fertig war, machte er sich ein Bier auf, das er direkt aus der Flasche trank.
Ohne das Licht anzuschalten, stellte er sich ans Fenster mit der Aussicht über die Altstadt und blieb mehr als zwanzig Minuten so stehen, während er versuchte, einmal nicht nachzugrübeln.
Vor ziemlich genau vierundzwanzig Stunden war er immer noch auf dem Fest bei seiner Schwester gewesen, als Dag Svensson ihn auf dem Handy anrief. Zu diesem Zeitpunkt waren er und Mia noch am Leben gewesen.
Mikael war seit sechsunddreißig Stunden auf den Beinen, aber die Zeit, zu der er ungestraft auf seinen Nachtschlaf verzichten durfte, war definitiv vorbei. Er wusste aber auch, dass er nicht einschlafen würde, ohne ständig die Bilder vor Augen zu haben, die er in Enskede gesehen hatte. Es kam ihm so vor, als wären sie ihm für immer und ewig in die Netzhaut eingebrannt.
Schließlich schaltete er sein Handy aus und ging zu Bett. Um elf war er jedoch immer noch nicht eingeschlafen. Also stand er wieder auf, machte sich einen Kaffee, schaltete den CD-Player an und hörte zu, wie Debbie Harry von Maria sang. Er wickelte sich in eine Decke, setzte sich auf das Wohnzimmersofa und trank Kaffee, während er über Lisbeth Salander nachdachte.
Was wusste er eigentlich von ihr? So gut wie gar nichts.
Er wusste, dass sie ein fotografisches Gedächtnis hatte und eine mörderisch gute Hackerin war. Er wusste, dass sie eine seltsame und verschlossene Frau war, die ungern über sich selbst sprach und nicht das geringste Vertrauen in Behörden hatte.
Er wusste, dass sie zu brutaler Gewalt fähig war. Nur deswegen war er ja noch am Leben.
Aber er hatte keinen blassen Schimmer davon gehabt, dass sie nicht geschäftsfähig war, unter rechtlicher Betreuung stand und einen Teil ihrer Jugend in der Psychiatrie verbracht hatte.
Er musste sich für eine Seite entscheiden.
Irgendwann nach Mitternacht beschloss er, dass er an die Schlussfolgerung der Polizei, die Lisbeth für die Mörderin hielt, nicht glauben wollte. Bevor auch er sie verurteilte, musste er ihr eine Chance zu geben, die Dinge zu erklären. Das war er ihr schuldig.
Er konnte sich nicht entsinnen, wann er eingenickt war, aber um halb fünf Uhr morgens wachte er auf dem Sofa auf. Schlaftrunken wankte er zu seinem Bett und schlief sofort
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