Verdammnis
Bevor er seine Wohnung verließ, bekreuzigte er sich vor dem Kruzifix und der Madonna.
Er parkte knapp dreißig Meter von ihrer Haustür entfernt und rutschte mit dem Sitz nach hinten, sodass er mehr Platz für seine Beine hatte. Während das Radio leise spielte, betrachtete er das Foto von Miriam Wu, das er aus einer Zeitung ausgeschnitten und sich ins Auto geklebt hatte. Sie sah hübsch aus, stellte er fest. Geduldig beobachtete er die wenigen Passanten. Miriam Wu war nicht darunter.
Alle zehn Minuten versuchte er sie anzurufen. Gegen neun gab er es auf, als sein Handy zu piepsen anfing, weil die Batterie so gut wie leer war.
Per-Åke Sandström verbrachte den Dienstag in einem Zustand völliger Apathie. Er war die ganze Nacht über auf seinem Wohnzimmersofa geblieben, unfähig, sich ins Bett zu legen, ebenso unfähig, der plötzlichen Weinkrämpfe Herr zu werden, die ihn in regelmäßigen Abständen heimsuchten. Am Dienstagmorgen kaufte er sich eine Flasche Skåne-Schnaps. Dann zog er sich wieder auf sein Sofa zurück und führte sich ungefähr die Hälfte des Inhalts zu Gemüte.
Erst am Abend wurde ihm sein Zustand annähernd bewusst. Er fing an zu überlegen, was er tun könnte. Er wünschte sehnlichst, er hätte niemals von den Brüdern Atho und Harry Ranta und ihren Nutten gehört. Es war ihm unbegreiflich, wie er so dumm hatte sein können, sich in die Wohnung in Norsborg locken zu lassen, wo Atho die 17-Jährige und heftig berauschte Ines Hammujärvi mit gespreizten Beinen gefesselt und ihn dann zu einem Wettkampf herausgefordert hatte, wer von ihnen die härtere Latte hatte. Sie wechselten sich ab, und er gewann den Wettkampf, indem er den Abend und die Nacht hindurch eine größere Anzahl an sexuellen Leistungen verschiedenster Art vollbrachte.
Einmal war Ines Hammujärvi kurz zu sich gekommen und hatte protestiert. Woraufhin Atho sie eine halbe Stunde lang abwechselnd geschlagen und mit Schnaps abgefüllt hatte, wonach sie wieder friedlich genug war, dass Per-Åke seine Übungen fortsetzen konnte.
Verdammte Nutte.
Verflucht, er war aber auch so was von blöd gewesen.
Von Millennium hatte er keine Gnade zu erwarten. Die lebten von dieser Art von Skandalen.
Er hatte eine Todesangst vor dieser Verrückten, Salander.
Von diesem blonden Monster ganz zu schweigen.
Er konnte nicht zur Polizei gehen.
Er konnte es aber auch nicht allein schaffen. Es war eine Illusion, zu glauben, die Probleme würden von selbst verschwinden.
Blieb also nur die eine magere Alternative. Er sah ein, dass sie nur ein Strohhalm war, an den er sich klammerte.
Aber es war die einzige Möglichkeit.
Am Nachmittag nahm er also seinen ganzen Mut zusammen und rief Harry Ranta auf dem Handy an. Keine Antwort.
Er versuchte es weiter bis zehn Uhr abends, bis er schließlich aufgab. Nachdem er die Sache lange und gründlich bedacht hatte (wobei er sich mit dem restlichen Schnaps stärkte), rief er Atho Ranta an. Seine Freundin Silvia ging ans Telefon. Von ihr erfuhr er, dass die Gebrüder Ranta auf Urlaub in Tallinn waren. Nein, Silvia wusste nicht, wo man sie erreichen konnte. Nein, sie hatte keine Ahnung, ob die Gebrüder Ranta vorhatten, jemals zurückzukommen - sie waren auf unbestimmte Zeit in Estland.
Silvia klang sehr zufrieden.
Sandström ließ sich auf sein Wohnzimmersofa sinken. Er war nicht sicher, ob er niedergeschlagen oder erleichtert darüber sein sollte, Atho Ranta nicht erreicht zu haben. Doch die unterschwellige Botschaft war eindeutig. Die Gebrüder Ranta hatten aus verschiedenen Gründen die Ohren angelegt und sich vorerst für einen Urlaub in Tallinn entschieden. Was nicht sonderlich zu Per-Åke Sandströms Beruhigung beitrug.
25. Kapitel
Dienstag, 5. April - Mittwoch, 6. April
Paolo Roberto war nicht eingeschlafen, aber so tief in seine Gedanken versunken, dass es einen Moment dauerte, bis ihm die Frau auffiel, die sich um elf Uhr abends von der Högalidskirche her näherte. Er sah sie im Rückspiegel. Erst als sie ungefähr siebzig Meter hinter ihm an einer Straßenlaterne vorbeiging, drehte er hastig den Kopf und erkannte sofort Miriam Wu.
Er setzte sich auf. Sein erster Impuls war, aus dem Auto zu steigen. Aber dann begriff er, dass er sie damit nur verjagen würde und er besser wartete, bis sie an der Haustür angekommen war.
In diesem Augenblick sah er einen Lieferwagen die Straße entlangfahren und direkt neben Miriam Wu bremsen. Völlig verdattert beobachtete Paolo Roberto,
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