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Verdammnis

Verdammnis

Titel: Verdammnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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sich gegen den Türrahmen und stützte die Hand auf die Hüfte.
    »Salander. Ich dachte, du wärst tot oder so was.«
    »Oder so was«, erwiderte Lisbeth.
    »Was willst du?«
    »Auf die Frage gäbe es viele Antworten.«
    Miriam Wu sah sich im Treppenhaus um, bevor sie wieder Lisbeth anblickte.
    »Versuch’s doch mal mit einer von diesen Antworten.«
    »Tja, ich wollte sehen, ob du immer noch Single bist und heute Nacht vielleicht Gesellschaft haben möchtest.«
    Mimmi blickte ein paar Sekunden völlig verdattert drein, dann musste sie lauthals loslachen.
    »Ich kenne nur einen Menschen auf der Welt, der auf den Gedanken kommt, nach anderthalb Jahren kompletter Funkstille bei mir an der Tür zu klingeln und zu fragen, ob ich ficken will.«
    »Willst du lieber, dass ich gehe?«
    Mimmi hörte auf zu lachen. Sie schwieg einen Moment.
    »Lisbeth … mein Gott, du meinst es wirklich ernst.«
    Lisbeth wartete.
    Schließlich seufzte Mimmi und machte die Tür ganz auf.
    »Komm rein. Ich kann dich ja zumindest auf eine Tasse Kaffee einladen.«
    Lisbeth folgte ihr in die Wohnung und setzte sich auf einen der beiden Hocker, die Mimmi im Korridor gleich neben die Tür gestellt hatte. Die Wohnung war 24 Quadratmeter groß und bestand aus einem winzigen Zimmer und einem möblierten Flur. Die Küche war nichts weiter als eine Kochnische im Flur, die das Wasser durch einen Schlauch bekam, den Mimmi vom Bad aus verlegt hatte.
    Während Mimmi das Kaffeewasser eingoss, musterte Lisbeth sie verstohlen. Miriam Wus Mutter war aus Hongkong und ihr Vater aus Boden. Wie Lisbeth wusste, waren ihre Eltern immer noch verheiratet und wohnten in Paris. Mimmi studierte Soziologie in Stockholm, ihre ältere Schwester studierte Anthropologie in den USA. Die Gene ihrer Mutter schlugen sich in Form orientalischer Gesichtszüge und glatter, rabenschwarzer Haare nieder, die sie kurz geschnitten trug. Der Vater hatte die hellblauen Augen beigesteuert, die ihr ein ganz eigenes Aussehen verliehen. Dazu hatte sie einen breiten Mund und Grübchen, die weder von ihrer Mutter noch von ihrem Vater stammten.
    Mimmi war 31 Jahre alt. Sie donnerte sich gern mit Lackklamotten auf und ging in Klubs mit Live-Performances - manchmal trat sie in diesen Shows auch selbst auf. Lisbeth war seit ihrem 16. Lebensjahr nicht mehr in einem Klub gewesen.
    Neben ihrem Studium arbeitete Mimmi einen Tag pro Woche als Verkäuferin im »Domino Fashion« in einer Seitengasse des Sveavägen. Kunden, die unbedingt Krankenschwesternuniformen aus Gummi oder Hexenoutfits aus schwarzem Leder brauchten, kamen ins »Domino«, wo man solche Kleidung designte und herstellte. Mimmi gehörte der Laden zusammen mit ein paar Freundinnen, was monatlich einen bescheidenen Zuschuss von ein paar tausend Kronen zu ihrem Studiendarlehen bedeutete. Lisbeth hatte Mimmi vor ein paar Jahren einmal in einer seltsamen Show auf dem Gay-Pride-Festival auftreten sehen und sie ein paar Stunden später in einem Bierzelt kennengelernt. Mimmi trug ein befremdliches zitronengelbes Kleid aus Plastik, das mehr zeigte, als es verhüllte. Lisbeth hatte sich zwar ein bisschen schwergetan, den erotischen Unterton dieses Outfits zu erfassen, aber sie war so betrunken, dass sie plötzlich Lust verspürte, ein als Zitrusfrucht verkleidetes Mädchen aufzureißen. Zu Lisbeths großer Überraschung warf ihr die Zitrusfrucht einen Blick zu, lachte lauthals, küsste sie ungeniert und sagte: »Dich will ich.« Danach gingen sie nach Hause zu Lisbeth und hatten die ganze Nacht Sex.
     
    »Ich bin, wie ich bin«, erklärte Lisbeth. »Ich bin weggefahren, weil ich Abstand von allem und jedem brauchte. Aber ich hätte mich vorher verabschieden sollen.«
    »Ich dachte schon, dir wäre was zugestoßen. Aber in der letzten Zeit, als du noch hier warst, hatten wir auch schon nicht mehr besonders viel Kontakt.«
    »Ich war beschäftigt.«
    »Warum machst du immer ein Geheimnis aus allem? Ich weiß nicht mal, was du arbeitest oder wen ich anrufen könnte, wenn du nicht ans Handy gehst.«
    »Im Moment arbeite ich gar nicht, und außerdem bist du genauso wie ich. Du wolltest Sex haben, aber an einer Beziehung warst du nicht interessiert. Oder?«
    Mimmi sah sie an.
    »Stimmt«, gab sie schließlich zu.
    »Mit mir war es nicht anders. Ich hab dir nie etwas versprochen.«
    »Du hast dich verändert«, stellte Mimmi fest.
    »Nicht sehr.«
    »Du siehst älter aus. Reifer. Du hast andere Sachen an. Und du hast deinen BH gepolstert.«
    Lisbeth

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