Verdammnis
Lundin hatte keinen Gewinn gemacht, und 50 Prozent von nichts waren eben null.
Magge Lundin war nicht auf den Kopf gefallen. Ihm war durchaus klar, dass ein geringerer, aber dafür risikoloser Gewinn eine gute Geschäftsidee war.
Es war ihm noch nie in den Sinn gekommen, den blonden Riesen zu verpfeifen. Das wäre wahrhaftig schlechter Stil. Solange ehrlich abgerechnet wurde, akzeptierten der blonde Riese und seine Kompagnons einen geringeren Gewinn. Wenn er den Riesen hinters Licht führte, würden die anderen ihm einen Besuch abstatten, und Magge Lundin war überzeugt, dass er diesen Besuch schwerlich überleben würde. Also kam ein Betrugsversuch gar nicht infrage.
»Wann kannst du liefern?«
Der blonde Riese stellte die Sporttasche auf den Boden.
»Schon geliefert.«
Lundin machte sich nicht die Mühe, die Tasche zu öffnen und den Inhalt zu kontrollieren. Stattdessen streckte er seinem Gegenüber einfach die Hand hin und signalisierte damit, dass sie hiermit eine Absprache hatten, die er ohne große Diskussionen erfüllen würde.
»Da wäre noch etwas«, fügte der Riese hinzu.
»Und zwar?«
»Wir würden dich gerne für einen Spezialauftrag anwerben.«
»Schieß los.«
Der blonde Riese zog ein Kuvert aus der Innentasche seiner Jacke. Magge Lundin machte es auf und zog ein Passbild sowie ein Blatt mit persönlichen Daten heraus. Fragend hob er die Augenbrauen.
»Sie heißt Lisbeth Salander und wohnt in der Lundagatan in Södermalm, Stockholm.«
»Okay.«
»Vermutlich hält sie sich gerade im Ausland auf, wird aber früher oder später wieder hier auftauchen.«
»Okay.«
»Mein Auftraggeber wünscht ein persönliches und ungestörtes Gespräch mit ihr. Sie muss also lebend abgeliefert werden. Ich würde den Lagerraum bei Yngern vorschlagen. Dann brauchen wir noch jemand, der das Weitere regelt. Sie muss spurlos verschwinden.«
»Das müsste sich machen lassen. Wie erfahren wir, ob sie wieder zu Hause ist?«
»Ich werde mich melden, sobald es aktuell wird.«
»Bezahlung?«
»Was hältst du von zehntausend, alles inklusive? Das Ganze ist ein ziemlich einfacher Job. Du fährst nach Stockholm, schnappst sie dir und lieferst sie bei mir ab.«
Sie schüttelten sich noch einmal die Hand.
Bei ihrem zweiten Besuch in der Lundagatan setzte sich Lisbeth auf das fusselige Sofa und überlegte. Sie hatte einige strategische Entscheidungen zu treffen. Eine davon war, ob sie die Wohnung behalten sollte oder nicht.
Sie steckte sich eine Zigarette an, blies den Rauch zur Decke und aschte in eine leere Coladose.
Eigentlich hatte sie keinen Grund, diese Wohnung zu lieben. Im Alter von vier Jahren war sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester hier eingezogen. Ihre Mutter hatte das Wohnzimmer bewohnt, während Camilla und sie sich das kleine Schlafzimmer geteilt hatten. Als sie zwölf war und All Das Böse geschah, hatte man sie zunächst in einer Kinderklinik untergebracht und später, als sie 15 geworden war, bei diversen Pflegefamilien. Die Wohnung wurde in der Zwischenzeit von ihrem Betreuer, Holger Palmgren, weitervermietet. Der sorgte aber auch dafür, dass die Wohnung an sie zurückfiel, als sie 18 wurde und ein Dach über dem Kopf brauchte.
Die Wohnung war die meiste Zeit über ein Fixpunkt in ihrem Leben gewesen. Doch obwohl Lisbeth sie jetzt nicht mehr brauchte, gefiel ihr der Gedanke nicht, sie einfach aufzugeben. Das würde ja bedeuten, dass fremde Menschen auf ihrem Boden herumtrampeln würden.
Doch gab es da ein logistisches Problem: Ihre gesamte offizielle Post - wenn sie denn einmal Post bekam - ging an die Adresse in der Lundagatan. Wenn sie die Wohnung kündigte, brauchte sie im selben Moment eine neue Adresse. Lisbeth Salander hatte aber keine Lust, ein öffentlicher Mensch zu werden, der in diversen Archiven geführt wurde. Ihr Gefühlsregister war das eines Paranoikers und gab ihr wenig Veranlassung, Behörden oder auch nur einem anderen Menschen zu vertrauen.
Sie blickte aus dem Fenster und sah die Brandmauer im Hinterhof, die sie ihr ganzes Leben lang angeguckt hatte. Plötzlich war sie erleichtert über ihre Entscheidung, diese Wohnung zu verlassen. Hier hatte sie sich niemals geborgen gefühlt. Jedes Mal wenn sie in die Lundagatan einbog und auf die Haustür zuging - nüchtern oder auch betrunken -, hatte sie ihre Umgebung, parkende Autos oder Passanten, aufmerksam beobachtet. Aus gutem Grunde war sie davon überzeugt, dass es irgendwo da draußen Menschen gab, die ihr Böses
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