Verdammnis
wollten, und ein Angriff war wohl am wahrscheinlichsten, wenn sie ihre Wohnung gerade betrat oder verließ.
Die Angriffe waren jedoch ausgeblieben. Sie entspannte sich also. Ihre Anschrift in der Lundagatan wurde in jedem öffentlichen Verzeichnis geführt, und ihre ständige Wachsamkeit war in all den Jahren die einzige Sicherheitsmaßnahme gewesen. Nun hatte sich die Situation freilich geändert. Sie wollte um alles in der Welt vermeiden, dass jemand von ihrer neuen Adresse in Mosebacke erfuhr. Ihr Instinkt riet ihr, so anonym wie möglich zu bleiben.
Aber das löste ihr Problem immer noch nicht. Sie überlegte noch eine Weile, dann griff sie zum Handy und rief Mimmi an.
»Hallo, ich bin’s.«
»Hallo, Lisbeth. Soll das heißen, dass du dich jetzt jede Woche bei mir meldest?«
»Ich bin in der Lundagatan.«
»Okay.«
»Ich frage mich gerade, ob du wohl Lust hättest, diese Wohnung zu übernehmen.«
»Zu übernehmen?«
»Du wohnst doch in einem Schuhkarton.«
»Mir gefällt es hier. Ziehst du denn um?«
»Bin ich schon. Die Wohnung steht leer.«
Mimmi zögerte.
»Ich kann mir deine Wohnung doch gar nicht leisten, Lisbeth.«
»Das Wohnrecht ist komplett bezahlt. Die Abgaben an die Verwaltung belaufen sich auf 1 480 Kronen pro Monat, das ist wahrscheinlich weniger als das, was du für deinen ganzen Schuhkarton bezahlst. Und die Abgaben sind auch schon ein Jahr im Voraus bezahlt.«
»Willst du sie verkaufen? Ich meine, die muss doch gut über eine Million wert sein.«
»Knapp anderthalb, wenn ich den Wohnungsannoncen Glauben schenken darf.«
»Das kann ich mir nicht leisten.«
»Ich will sie ja auch gar nicht verkaufen. Du kannst noch heute Abend hier einziehen. Du kannst hier wohnen, solange du willst, und brauchst ein Jahr lang keine Miete zu bezahlen. Ich darf nicht untervermieten, aber ich kann dich als meine Partnerin in den Vertrag eintragen lassen, dann kriegst du keinen Ärger mit der Hausverwaltung.«
»Sag mal, Lisbeth - willst du mich heiraten, oder was?«, lachte Mimmi.
Lisbeth war todernst.
»Mir nützt die Wohnung nichts, und ich will sie nicht verkaufen.«
»Du meinst, ich kann quasi kostenlos da wohnen? Ist das dein Ernst?«
»Ja.«
»Und wie lange?«
»So lange wie du willst. Bist du interessiert?«
»Natürlich. Ich kriege nicht jeden Tag eine kostenlose Wohnung mitten in Söder angeboten.«
»Es gibt allerdings einen Haken.«
»Das dachte ich mir fast.«
»Du kannst hier wohnen, so lange du willst, aber ich bleibe hier gemeldet und bekomme auch meine Post weiterhin an diese Adresse. Du musst dich nur um die Post kümmern und dich melden, wenn etwas Interessantes dabei ist.«
»Lisbeth, du bist das durchgeknallteste Mädchen, das ich kenne. Was machst du eigentlich? Wo wirst du in Zukunft wohnen?«
»Darüber können wir später reden«, wehrte Lisbeth ab.
Sie wollten sich am Nachmittag treffen, damit sich Mimmi die Wohnung richtig ansehen konnte. Nachdem Lisbeth aufgelegt hatte, fühlte sie sich schon viel besser. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass ihr noch genügend Zeit blieb, bis Mimmi kam. Sie verließ die Wohnung und ging zur Handelsbank in der Hornsgatan, wo sie eine Nummer zog und geduldig wartete, bis sie aufgerufen wurde.
Sie wies sich aus, erklärte, sie sei geraume Zeit im Ausland gewesen und wolle jetzt einen Blick auf ihr Sparkonto werfen. Ihr Sparkapital belief sich auf 82 670 Kronen. Das Konto war ein Jahr lang nicht angetastet worden, nur im Herbst hatte es eine Einzahlung über 9 3 12 Kronen gegeben. Das war die Erbschaft ihrer Mutter gewesen.
Lisbeth Salander hob eine Summe ab, die dem Erbe entsprach. Dann überlegte sie kurz. Sie wollte das Geld für etwas verwenden, was ihrer Mutter gefallen hätte. Etwas Passendes. Schließlich ging sie zur Post in der Rosenlundsgatan und zahlte den Betrag auf das Konto eines Stockholmer Frauenhauses ein. Sie wusste auch nicht recht, warum sie das tat.
Es war Freitagabend um acht, als Erika ihren Computer ausschaltete und sich streckte. Die letzten neun Stunden hatte sie mit der Schlussredaktion der Märznummer von Millennium zugebracht. Da Malin Eriksson ausschließlich mit Dag Svenssons Themenheft beschäftigt war, hatte Erika den Großteil der Redaktion allein erledigen müssen. Henry Cortez und Lottie Karim unterstützten sie zwar, waren aber hauptsächlich fürs Schreiben und Recherchieren zuständig und nicht besonders erfahren im Redigieren.
Erika Berger war müde
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