Verdammnis
nicht aufgetaucht. Mikael saß allein in der Redaktion und feilte an seinem Manuskript. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass das Buch zwölf Kapitel und zweihundertneunzig Seiten umfassen sollte. Dag hatte die endgültige Version der Kapitel eins bis neun abgeliefert, und Mikael prüfte jedes Wort kritisch, bevor er die Texte mit seinen Anmerkungen an Dag zurückgab.
Mikael fand, dass Dag sehr gut schreiben konnte, und beschränkte seine Redaktion hauptsächlich auf Randbemerkungen. Er musste sich schon anstrengen, um überhaupt etwas Kritikwürdiges zu finden. Während der Manuskriptstapel auf Mikaels Schreibtisch im Laufe der letzten Wochen angewachsen war, hatten die beiden sich nur ein einziges Mal nicht einigen können. Mikael wollte eine bestimmte Seite unbedingt streichen, um die Dag hart kämpfte. Doch das waren im Grunde genommen nur Kleinigkeiten.
Kurz gesagt hatte Millennium mit diesem Buch einen echten Knaller in der Hand. Für Mikael bestand kein Zweifel daran, dass dieses Buch für dramatische Schlagzeilen sorgen würde. Dag Svensson stellte die Freier so unbarmherzig an den Pranger und präsentierte seine Story so stringent, dass niemand um die Schlussfolgerung herumkam, dass hier ein Fehler im System vorlag. Dieser Part ging auf das Konto seines schriftstellerischen Geschicks. Das eigentliche Fundament seines Buches waren jedoch die akribisch recherchierten Fakten. Mikael lächelte still in sich hinein. Dag Svensson war ungefähr 15 Jahre jünger als er, aber Mikael erkannte in ihm die Leidenschaft wieder, die er selbst einmal gehabt hatte, als er gegen lausige Wirtschaftsjournalisten zu Felde zog und ein Skandalbuch verfasste, das man ihm in gewissen Redaktionen bis heute nicht verziehen hatte.
Allerdings musste Dag Svenssons Buch vollkommen wasserdicht sein. Ein Reporter, der sich so aus dem Fenster lehnt, muss sich seiner Sache hundertprozentig sicher sein oder gleich von einer Veröffentlichung Abstand nehmen. Svensson lag bei 98 Prozent. Es gab Schwachpunkte, die man noch einmal kritisch durchleuchten musste, und Behauptungen, die nicht zu Mikaels vollster Zufriedenheit belegt waren.
Gegen halb sechs zog er seine Schreibtischschublade auf und nahm sich eine Zigarette. Erika Berger hatte zwar totales Rauchverbot in der Redaktion erlassen, aber er war ja allein, und über die Feiertage würde auch niemand ins Büro kommen. Er arbeitete noch vierzig Minuten weiter, bis er schließlich den ganzen Papierstoß nahm und Erika das Kapitel zum Durchlesen auf den Schreibtisch legte. Dag Svensson hatte versprochen, die endgültige Version der fehlenden drei Kapitel am nächsten Morgen zu mailen, sodass Mikael Gelegenheit haben würde, das Material über die Feiertage durchzugehen. Am Dienstag nach Ostern war ein Treffen angesetzt, bei dem Dag, Erika, Mikael und die Redaktionssekretärin Malin Eriksson zusammenkommen wollten, um sich über die endgültige Fassung des Buches und der Artikel für das Themenheft abzustimmen. Stand nur noch das Layout aus, über das sich Christer Malm allein den Kopf zerbrechen musste, und dann konnte das Ganze in Druck gehen. Mikael hatte nicht einmal Angebote von verschiedenen Druckereien eingeholt - er hatte einfach beschlossen, den Auftrag wieder an Hallvigs Reklam in Morgongåva zu geben. Sie hatten schon sein Buch über die Wennerström-Affäre gedruckt und boten einen Preis sowie einen Service, mit dem nur wenig andere Druckereien konkurrieren konnten.
Mikael sah auf die Uhr und gönnte sich noch eine heimliche Zigarette. Er setzte sich ans Fenster und blickte auf die Götgatan hinab. Nachdenklich befühlte er mit der Zungenspitze die Wunde an der Innenseite seiner Lippe. Sie heilte bereits. Zum tausendsten Mal fragte er sich, was vor Lisbeth Salanders Haustür in der Lundagatan nur geschehen sein mochte.
Er wusste nur, dass Lisbeth Salander am Leben und zurück in Stockholm war.
In den Tagen, die seit dem Überfall vergangen waren, hatte er täglich versucht, sie anzurufen. Er hatte Mails an die Adresse geschickt, die sie letztes Jahr benutzt hatte, bekam jedoch keine Antwort. Er war wieder in die Lundagatan gegangen. Langsam, aber sicher begann er zu verzweifeln.
Das Namensschild an der Tür lautete jetzt »Salander - Wu«. Insgesamt waren zweihundertdreißig Personen mit dem Nachnamen Wu gemeldet, von denen knapp einhundertvierzig in Stockholm wohnten. Allerdings keiner in der Lundagatan. Mikael hatte keine Ahnung, welcher dieser Wus nun bei Salander
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