Verdammt feurig
Hopser aufs Dach nebenan und segelte schließlich knatternd zu Boden.
»Oh – mon – dieu!«, keuchte Leander und presste sich die Hand aufs Herz. »In Deckung!«
Er zog mich nach hinten und wir purzelten samt Bettdecke zu Boden.
»Schlechte Reaktion«, beschwerte ich mich, nachdem ich mich aufgerappelt hatte. »Viel zu spät. Mann, bist du ein mieser Schutzengel.« Ich pustete gegen meine Fingerspitzen, die beinahe von der brennenden Lunte angekokelt worden waren.
»Was ist das?«, fragte Leander neugierig und entwirrte die Kette, die beim Sturz auf den Teppich aus meiner Tasche gerutscht war. Wieder sah ich Silvana vor mir, wie sie sich an Seppo schmiegte und ihm ins Ohr hauchte.
»Dein Weihnachtsgeschenk. Für mehr Balance«, entschied ich spontan und kämpfte gegen das scheußliche kalte Gefühl an, das sich in meinem Herzen breitmachte. Seppo würde die Kette tatsächlich nie bekommen. Er hatte es sich versaut. Keine Geschenke für Seppo. Nicht heute und auch nicht morgen.
»Cool. Danke. Sagt man doch, wenn man was geschenkt bekommt, oder? Merci, chérie. Die ist schön – hätte ich dir gar nicht zugetraut, so wie du rumläufst.«
Leander deutete abwertend auf meine Klamotten, stand auf und ging ins Bad, um sich die Kette anzulegen. Ich tapste ihm müde hinterher, während sich draußen in unzähligen bunten Fontänen das Feuerwerk über der Stadt erhob. Es war Mitternacht. Leander blickte sich versonnen im Spiegel an und strich sich die Haare zurück.
»Die steht mir gut, oder?«
Ich konnte es nicht beurteilen, denn die Kette verschwand zwischen all den anderen Lederbändern, die er bereits um den Hals trug. Auf der Straße wurden Stimmen laut und ich hörte einen Sektkorken knallen. Da draußen waren jetzt Seppo und Silvana. Und Italiener küssten immer viel und oft, wenn es etwas zu feiern gab.
»Frohes neues Jahr, Leander«, sagte ich traurig und lehnte mich an den Türrahmen. Ich hatte auf einmal das Gefühl, nicht mehr laufen zu können. Leander löste sich langsam von seinem Spiegelbild, drehte sich um und guckte mir tief und forschend in die Augen.
»Neues Jahr?«, fragte er unbehaglich. »Jetzt?«
»Ja. Es hat eben gerade angefangen.«
»Oh nein … merde …«, flüsterte er. »Es hat angefangen … sie werden kommen.«
Er trat auf mich zu und nahm mich in seine Arme. Für wenige Sekunden nur hielt er mich fest, doch mir wurde sofort warm. Dann stieß er mich weg, rannte zurück in mein Zimmer, rollte sich auf dem Boden neben der Heizung zusammen und sagte kein einziges Wort mehr.
Prost Neujahr
Das neue Jahr fing nicht gut an. Mama hatte einen ordentlichen Kater und ihren »Weihnachten ist endgültig vorbei« -Blues. Den ganzen Tag lang wandelte sie mit Kühlbrille auf der Stirn zwischen Sofa und ihrem Schlafzimmer hin und her und jammerte schlimmer vor sich hin, als Leander es jemals vermocht hatte. Und es war eine echte Herausforderung, Leander beim Jammern zu übertreffen. Papa ging schon nach dem verspäteten Frühstück nach unten, um Mamas Weihnachtsdekoration aus seinen Geschäftsräumen zu entfernen, was Mamas Seufzer beinahe in Schluchzer verwandelte.
Leander war erst im Morgengrauen von seinem Nachtflug zurückgekommen und schlief noch, als ich wach wurde und mir sofort wieder einfiel, was gestern passiert war. Seppo und Silvana … ob sie bei den Lombardis übernachtet hatte? Vielleicht sogar in Seppos Zimmer? Nun hätte ich mich dafür ohrfeigen können, dass ich kurz vor Mitternacht abgehauen war. Die wenigen Minuten hätte ich doch noch warten können. Möglicherweise hätte Seppo mich ja geküsst. Schließlich küsste man jeden, wenn das neue Jahr anbrach. Dann erinnerte ich mich an Leanders seltsame Umarmung – so plötzlich und unerwartet. Das war keine Neujahrsumarmung gewesen. Nein, das hatte etwas anderes zu bedeuten gehabt – aber was, wusste ich nicht. »Sie kommen«, hatte er gesagt.
Rätselnd schaute ich ihn an. Er lag wie immer auf der Seite, den Teppich um den Bauch geschlagen, den Kopf auf die Unterarme gebettet. Er sah erschöpft aus. Unter seinen Augen lagen bläuliche Schatten und über seine Wangen zog sich eine feine Gänsehaut.
Erst gegen Nachmittag wurde er wach, setzte sich auf den Schreibtisch und verweigerte jedes Essen. Reden wollte er aber auch nicht. Ich konnte die gedrückte Atmosphäre in meinem Zimmer kaum mehr ertragen, doch im Wohnzimmer war es auch nicht besser, da Mama schniefend vor dem Fernseher saß und sich mit gezücktem
Weitere Kostenlose Bücher