Verdammt feurig
tanzen … nein, eigentlich war das kein Tanzen. Eigentlich standen Silvana und Seppo nur viel zu eng beieinander, hielten sich an den Hüften, lächelten sich blöd an und gingen einen winzigen Schritt nach vorne und einen winzigen Schritt zurück. Nun beugte sich Silvana vor und flüsterte Seppo etwas ins Ohr. Er lachte und beide schauten kurz zu mir rüber. Danke, Mama.
Es tat weh, Seppo und Silvana zuzusehen, und trotzdem saß ich fast drei Stunden auf dem Barhocker und beobachtete sie. Letztes Jahr war alles noch so einfach gewesen. Da hatte ich gerade erst gemerkt, dass ich in Seppo verknallt war. Es hatte gereicht, hier in der Pizzeria zu sein, neben meinen Eltern zu sitzen und ihn ab und zu anschauen zu können. Ich war glücklich gewesen! Denn Seppo und ich hatten etwas, was Silvana niemals mit ihm teilen würde. Wir waren Traceure. Und das war verdammt noch mal auch jetzt so. Silvana hatte keine Ahnung von Seppo. Aber ich kannte ihn.
Ich hätte gerne irgendetwas Spektakuläres gemacht, um ihn daran zu erinnern, und die Pizzeria bot tausend Möglichkeiten – ich hätte zum Beispiel über die Bar springen, einen Salto schlagen und mich an den Deckenbalken entlanghangeln können. Aber meine Eltern waren hier. Ich konnte gar nichts tun, um Seppos Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Seppo würde also auch heute kein Geschenk bekommen. Vielleicht würde er es niemals bekommen.
»Ich geh nach Hause. Ich hab Kopfweh«, sagte ich zu Papa, der es geschafft hatte, Mama zwischen zwei dicken italienischen Frauen auf einer Eckbank zu postieren, und erschöpft an einem Kaffee nippte.
»Kopfweh?«, fragte er erstaunt. Ich hatte noch nie Kopfweh gehabt.
»Pubertät«, erwiderte ich achselzuckend und er nickte verständnisvoll. Ich würdigte Seppo keines Blickes mehr, als ich die Pizzeria verließ. Draußen herrschte immer noch Dauerfrost, doch es war ein leichter Wind aufgekommen. Es roch wieder nach Schnee. Von fern hörte ich die ersten Raketen durch die Luft schrillen.
Leander saß mit meiner Bettdecke um die Schultern auf der Fensterbank. Das Fenster stand sperrangelweit offen und im Zimmer herrschte eisige Kälte.
»Du bist also doch da«, sagte er, ohne sich umzudrehen.
Er klopfte neben sich auf das Sims. Seufzend kletterte ich hoch und legte wie er meine Beine auf die Ziegel der Dachschräge unter uns. Eiskristalle zogen sich über die Regenrinne. Ich begann zu zittern. Leander hob die Decke an und ließ mich darunterkriechen. Jetzt war es besser.
»Mein Vater hat mal gesagt, ihr Menschen tut das, um die bösen Geister zu vertreiben«, sagte er nachdenklich, als über den Dächern eine rot-blaue Fontäne in die Luft stieg und sich krachend in Hunderte von schillernden Sternchen zerteilte.
»Was tun wir?« Ich war in Gedanken immer noch bei Seppo.
»Na, die Knallerei. Ihr wollt Geister vertreiben. Aber es ist wie Krieg gegen euch selbst. Bunter Krieg. Es ist zu laut und zu chaotisch. Und zu gefährlich.«
Mir hatte es immer gefallen. Je lauter und chaotischer, desto besser. Ich griff in meine Jackentasche, wo sich Seppos Kette an den Chinaböller schmiegte, den ich zwischendurch aus dem Knallervorrat von Seppos Vater geklaut hatte. In der anderen Tasche fand ich die Streichhölzer.
»Hier«, sagte ich und reichte Leander den Böller. »Ich hab einen Geist zu vertreiben.« Einen Geist mit dicken Brüsten und Schmollmund.
Leander schaute mich an, als habe ich ihm befohlen, mich das Dach hinunter auf die Straße zu stoßen. Sein Huskyauge glitzerte schneeblau.
»Jetzt stell dich doch nicht so an! Du musst ihn nur am Ende anzünden und dann runterwerfen. Oder wir lassen ihn in der Dachrinne explodieren, das ist viel lauter …«
»Luzie!!«
»Och, bitte! Sei kein Spielverderber. Das ist lustig. Sonst mach ich es. Ich wollte eh noch zum Bierlapp und …«
»Okay, okay, ist ja gut. Du immer mit deinen Erpressungen. Ich mache es. Besser ich als du.«
Ich zeigte ihm, wie er das Streichholz anzünden und die Lunte entfachen musste. Sofort begann der Böller zu knistern.
»Dachrinne!«, rief ich. »In die Dachrinne! Jetzt!«
Leander erstarrte und blickte wie elektrisiert auf den zischelnden Böller in seiner Hand.
»Leander, das Ding brennt schon, wirf es jetzt in die Rinne!«
»Nicht vielleicht besser auf die Straße?«
Ich schnappte mir den Böller und warf ihn im letzten Moment in die Dachrinne. Krachend und polternd entlud er sich, sprang Funken sprühend auf die Ziegel zu unseren Füßen, machte einen
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