Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
heute besonders gut aus. Wie alle Damen trägt auch sie ein weißes Ballkleid, tief ausgeschnitten und mit bloßen Schultern. Die Röcke sind kürzer geworden, sie schleifen nicht mehr auf dem Boden und zeigen ihre hübschen orangefarbenen Lackschuhe. Und Adrian kann sich auch sehen lassen, in seinem eleganten, dunkelblauen Messeanzug mit der eng sitzenden, taillenkurzen Jacke, die nicht zugeknöpft wird, darunter weiße Weste mit Goldknöpfen, gestärktes Hemd mit Stehkragen und schwarzem Binder. Kopfbedeckungen werden im Saal weder von den Herren noch von den Damen getragen.
Gut fünfhundert Gäste müssen jetzt im Saal sein, schätzt Vivian. Kellner in Weiß schlängeln sich durch die Menge, bieten Champagner und Fruchtsäfte an und empfehlen für nachher das vorzügliche Büfett im kleinen Saal nebenan. Englische und deutsche Offiziere unterhalten sich bereits eifrig miteinander und flirten zwischendurch mit den Damen, wo immer sie einen Blick erhaschen können.
Die Kapelle schmettert einen Tusch und bringt das Geplauder zum Verstummen. Der kommandierende Admiral der Ostseestation ist mit Admiral Warrender auf die Bühne gestiegen und hält eine kurze Begrüßungsrede. Er heißt besonders die englischen Offiziere willkommen und spricht von ewiger Freundschaft der beiden Brudervölker Albion und Germania, hier im Kleinen, draußen auf den Weltmeeren im Großen. Dafür erhält er brausenden Beifall. Zum Schluß läßt er die Majestäten hochleben.
Die Kapelle setzt ein, und die beiden Admirale eröffnen mit ihren Damen den Tanz mit dem Blumenwalzer aus der Nußknackersuite von Tschaikowsky.
Kiel, Holsts Hotel, 27. Juni 1914, Samstag
Drummond stellt seinen Koffer vor der Rezeption ab und erkundigt sich bei dem uniformierten Empfangschef nach der Familie Peterman aus London. Der wirft nur einen kurzen Blick ins Registerbuch und antwortet ihm in gutem Englisch: » Mr. Peterman mit Tochter und Miss Riley, jawohl. Die Herrschaften sind zu einem Konzert in den Schloßgarten gegangen. Möchten Sie hier warten?«
» Nein danke«, sagt Drummond. » Wo finde ich den Schloßgarten?«
» Gleich gegenüber. Sie brauchen nur der Musik nachzugehen.«
Er fragt, ob er seinen Koffer hier deponieren kann, ein freies Zimmer gibt es selbstverständlich nicht, und eilt los.
Eine Menge Menschen hat sich um den Musikpavillon versammelt und lauscht andächtig. Schließlich entdeckt er Emmeline, am Arm von Peterman. Da ist auch Vivian, und Seiler in seiner Marineuniform. Drummond hält sich im Schatten der Bäume, er will nicht einfach auf sie zugehen, falls Melville da ist und sie beobachtet. Scheinbar wird ihnen jetzt das Gedränge zu ungemütlich, denn sie schlendern von der Menge weg, auf ein Reiterstandbild am nördlichen Ende des Parks zu. Er folgt ihnen, immer bemüht, in Deckung zu bleiben, und hält scharf Ausschau nach Melville, entdeckt ihn aber nirgends. Vielleicht ist der Detektiv ja tatsächlich nur nach Hamburg gefahren? Was aber, wenn er wirklich hier ist? Wenn Melville ihn sieht, wird er augenblicklich annehmen, er stecke mit den Deutschen unter einer Decke. Er spürt, wie ihm der Schweiß ausbricht. Das ist nicht nur die Hitze.
Daß er überhaupt hier ist, verdankt er einem Zufall. Drummond war vorgestern den Vormittag über im Home Office, wo er für den Captain die Akten mehrerer Verdächtiger einsehen mußte. Als er sich am Mittag bei Kell zurückgemeldet hat, hat er von diesem erfahren, Melville sei gestern früh nach Deutschland abgereist. Er hat Kell gefragt, ob dies mit Peterman zusammenhänge, aber Kell schüttelte den Kopf. Melville wolle in Hamburg einen Mittelsmann treffen. Mit Peterman habe das nichts zu tun. Der sei schließlich für tabu erklärt worden, und das SSB wolle sich nicht noch einmal mit der einflußreichen Familie Cecil-Porter anlegen, deren Schwiegersohn Peterman immerhin sei.
Nachtigall, ich hör dir trapsen, hat er sich da gedacht, soviel Zufall gibt es nicht. Nicht bei Melville. Angst um Emmeline hat ihn gepackt, und auch um Vivian. Da hat er kurz entschlossen ein plötzliches Unwohlsein vorgeschützt und die Erlaubnis erhalten, nach Hause zu gehen und für ein paar Tage dortzubleiben, falls es nötig sein sollte. In aller Hast hat er seine Reisetasche gepackt und ist mit dem nächsten Zug nach Dover gefahren. In Calais hat er mit knapper Not noch den Nachtschnellzug nach Hamburg erreicht. Und jetzt ist er hier in Kiel.
Kiel, Schlossgarten, 27. Juni 1914, Samstag
Vivian, Adrian
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