Verdeckt
her, dass wir uns nicht an viel erinnern. Die gestohlenen Sachen sind nicht mehr aufgetaucht. Wenigstens das weiß ich sicher.«
»Ein paar Bilder wurden ihr auch geklaut. Die hat sie damals bei der Polizei nicht angegeben, weil sie keinen materiellen Wert hatten.« Janet sprach leise.
»Bilder? Zum an die Wand hängen?« Michael dachte an die billigen Poster, mit denen College-Studenten die kahlen Wände ihrer Studentenbuden tapezierten.
»Nein. Fotografien. Ihr wurde ein ganzes Album voller Fotos gestohlen.«
»Neue? Alte? Familienbilder?«
»Sie waren neu. Das weiß ich noch, weil sie darüber so traurig war. Sie hatte mir die Fotos nicht zeigen können, bevor sie gestohlen wurden. Ich nehme an, es waren Bilder von ihren Freunden, von anderen Sportlerinnen und von ihr und Matt. Hier bei uns hatte sie schon jahrelang keine Bilder mehr gemacht.«
Fotografien. Warum stahl jemand Fotos von Leuten, die er gar nicht kannte?
Aber vielleicht kannte der Dieb sie ja.
»Hat Amy sich je darüber beklagt, dass sie sich auf dem Campus verfolgt fühlte? Wegen ihrer Bekanntheit als Turnerin?« Michael wechselte das Thema. Über die gestohlenen Bilder wollte er erst einmal in Ruhe nachdenken. Möglicherweise steckte mehr dahinter. Oder auch nicht.
Gary und Janet tauschten einen betroffenen Blick aus.
»Amy konnte sich nicht daran gewöhnen, überall erkannt zu werden. Das lag vor allem an den Plakatwänden.«
»Waren das Plakate von der ganzen Mannschaft?«
»Nein. Normalerweise war nur ein einzelnes Mädchen bei einer spektakulären Übung darauf abgebildet. Die Poster dienten als Werbung für die Wettkämpfe. Gelegentlich beklagten sich die Leute in der Stadt, die Posen seien zu gewagt. Nach hinten gewölbte Rücken, nackte Arme und Beine … In einer konservativen Stadt wie dieser sorgten manchmal allein die eng anliegenden Trikots für Kritik.« Janet stand auf. »Über ein ganz wunderbares Plakat von Amy gab es auch Beschwerden. Ich habe noch ein Poster davon. Ich zeige es Ihnen.«
Michael nickte. Als Janet aus dem Zimmer eilte, fühlte es sich sofort kalt und spannungsgeladen an. Er und Gary musterten einander schweigend.
»Mein Leben war besser, als ich noch an einen Unfall glauben konnte.« Garys Augen wanderten zu dem Porträt eines Kleinkindes über dem steinummantelten offenen Kamin. Amy.
Michael nickte. Verständlich.
Eine stille Feindseligkeit stand fast greifbar im Raum.
»Ich hab’s.« Mit Janet kam die Wärme zurück. Aus ihrer Stimme sprach Stolz auf ihre Tochter und als Michael das Poster sah, konnte er sie verstehen.
Amy war wunderschön gewesen. Das Bild zeigte sie im Profil auf dem Boden sitzend, ihr Körper füllte die gesamte Fläche. Weit zurückgelehnt stützte sie sich auf einen Ellbogen. Den Kopf hatte sie in den Nacken geworfen, ihr Kinn zeigte in den Himmel, ihre Kehle wölbte sich vor. Das rechte Bein hatte Amy angezogen. Der Fuß stand flach auf dem Boden. Das andere Bein war gestreckt bis in die Zehenspitzen. Ihre freie Hand lag lässig auf dem angewinkelten Knie. Das rote Mannschaftstrikot, das sie trug, betonte die für eine Turnerin typischen ausgeprägten Muskelpartien. Über ihr stand in fetten Buchstaben »Southeast Oregon University – Turntage«. Ohne den Schriftzug konnte man sich das Foto auch in einer Männerzeitschrift vorstellen. Es wirkte gleichzeitig sexy und athletisch.
Michael betrachtete das lange blonde Haar, das von Amys Kopf bis auf den Boden floss.
Es erinnerte ihn an Lacey.
Gary betrachtete das Poster mit einer Mischung aus Missfallen und Stolz. Michael versuchte, das Bild mit den Augen eines Vaters anzuschauen.
Würde er sich wünschen, seine Tochter so auf einer Plakatwand zu sehen?
Nein, verdammt.
»Sie ist wunderschön.« Michael räusperte sich. Er griff nach seinem Notizbuch und seiner Jacke. »Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben. Es tut mir leid, dass ich Sie belästigen musste.«
Ein wenig perplex riss Janet den versonnenen Blick von dem Poster los. Sie war ganz weit weg gewesen. Michael fühlte sich wie ein Eindringling. Hastig machte er sich auf den Weg zur Tür. Mit der Hand auf dem Türknauf drehte er sich noch einmal zu Janet um. »Könnten Sie mir vielleicht Matt Petrettis Telefonnummer geben?«
Zwanzig Minuten, nachdem das Video auf Laceys Handy angekommen war, kam Alex mit zwei prallen Tüten vom Chinesen zurück. Dicht gefolgt von zwei Cops. Würzige Essensdüfte zogen jetzt durchs Haus, sorgten aber nur dafür, dass
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